Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

Meine Woche Irgendwie anders

von Winfried Machel am 05.11.2022


Geht es Ihnen auch so? Es ist schwierig, in Lüneburg einen Schritt zu tun, ohne sich die Nase an einem Baum zu stoßen. So klingt es zumindest, wenn man Stadtbaurätin Heike Gundermann zuhört. Das Projekt "Pflanz deinen Baum" habe die Stadt einstellen müssen, weil sie keine freien Flächen mehr dafür finde. So erklärte es die Chefin der Bauverwaltung auf eine Nachfrage der SPD im Rat. Nun, wer weiß, wo Frau Gundermann spazieren geht. Ochtmissens Ortsbürgermeister Jens-Peter Schultz antwortete ihr, in seinem Stadtteil könne er ihr jede Menge freie Plätzchen nennen.

Wenn man als Herrin des Bauwesens aus dem Bürofenster an der Neue Sülze auf den Marienplatz schaut, mag man Lüneburg so überbordend grün wie den Forst im Tiergarten empfinden. Eine Frage der Wahrnehmung. Die kann unterschiedlich ausfallen. So ist es auch mit dem Blick auf die Ausgangslage, die die SPD beschrieb: Im Rahmen eines Klimapakets habe der Rat beschlossen, das bürgerorientierte Projekt Baumpaten, sie kaufen und Pflanzen einen Baum, über mehrere Jahre laufen zu lassen. Diesen Punkt hatte die Bauverwaltung nach zwei Jahren jetzt kassiert und erklärt: "Wir haben etwas Besseres."

Auf Nachfrage der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Schröder-Ehlers, was die Grundlage sei, einen Ratsbeschluss für nicht bindend zu halten, hieß es, Ausgleichsflächen, Landwirtschaft und anderes bräuchten Raum. Eine konkrete Erhebung zu den Flächen habe man weder damals noch heute erhoben. Woher weiß Frau Gundermann dann, dass es sich keine kahle Ecke mehr findet? Wie wäre es, wenn Bürger abgestorbene Bäume durch neue ersetzen? Was ist mit den Pflanzvorhaben der LZ, was mit dem Bürgerprojekt im Mittelfeld, wo jetzt 700 Pflanzen gesetzt wurden? Überflüssig?

Die Kernfrage liegt darin, wie kann Verwaltung, die im Auftrag des Rates arbeitet, sich einfach über dessen Beschlüsse hinwegsetzen?

Die Kernfrage liegt darin, wie kann Verwaltung, die im Auftrag des Rates arbeitet, sich einfach über dessen Beschlüsse hinwegsetzen, ohne sich einen neuen Auftrag zu holen? Gilt das geflügelte Wort der Bürokratie: "Wir könnten so schön arbeiten, wenn der Bürger nicht wäre"?

Die Baudezernentin sagte mit ihrer immer leicht verletzlich wirkenden Stimme, der Rat wisse doch, wie in der Vergangenheit Entscheidungen gefallen seien. Das kam so sanft, dass scheinbar viele im Kommunalparlament gar nicht merkten, welche Ohrfeige da klatschte: Dem aktuellen Rat gehören einige an, die dort schon zuvor Politik betrieben. Was wollte die Dezernentin denen vermitteln: Waren die bis vor einem Jahr alle willenlos? Haben sie nicht verstanden, wofür und wogegen sie ihre Stimme erhoben hatten? Sollte zudem der alte Oberbürgermeister gemeint sein? Hat sich die Dezernentin dann nahezu über ein Vierteljahrhundert, so lange arbeiteten sie zusammen, vom OB unterjochen lassen? War es nicht so, dass sie ziemlich gut mit dem "lieben Ulrich" konnte und sie bei ihm eher als andere ein offenes Ohr und Verständnis fand?

Die Ratsvorsitzende Jule Grunau meinte, Details könne man im Ausschuss klären, offenbar nicht weiter schlimm, dass Bauverwaltung dem Souverän eine Nase drehte.

Eigen ein zweiter Akt in dem Schauspiel im Kulturforum. Die FDP stellte einen Dringlichkeitsantrag, den Umbau der Hindenburgstraße mit einem Fahrradweg auf der Straße zu stoppen, da sich die Polizei gegen die Pläne ausgesprochen habe. Rechts- und Mobilitätsdezernent Markus Moßmann erklärte, die Polizei sei schon vor Jahren in alles eingebunden gewesen, was die verneint: nicht bis ins Detail. Aber das ist ein anderes Thema. FDP und SPD waren sich einig: Stopp.

Für den Dringlichkeitsantrag bedarf es jedoch einer Zweidrittelmehrheit. Die CDU hätte hier gemeinsam mit den anderen, Verwaltung und der stärksten Fraktion, den Grünen, zeigen können, wie selbstbewusst eine Opposition agieren kann.

CDU-Frontfrau Monika Scherf hingegen sah Beratungsbedarf -- Hilfe holten sich die Christdemokraten ausgerechnet bei Moßmann, der nichts von dem Dringlichkeitsantrag, man könne auch im Dezember noch darüber reden, und Kritik an seiner Arbeit hielt. Er sei "enttäuscht" gewesen, von den Aussagen der Polizei in der LZ und auch von deren Bericht.

Frau Scherf arbeitet seit einer Ewigkeit in leitender Position in der Verwaltung, sie leitet (noch) die Regierungsvertretung. Welchen Tipp brauchte sie da von Moßmann? Es wäre ein Wunder, sollte er ihr zur Blockade geraten haben. Wo bleiben die streitbaren Ratsfrauen und -herren der CDU, warum folgen sie einer auf Harmonie setzenden und voller Verständnis für die Verwaltung agierenden Fraktionsvorsitzenden? Wo bleibt die Kontrollfunktion des Rates? Wo bleibt das eigene Profil?

Was soll's. Es gibt andere Themen, die bewegen. Oder kleben. Der Klimawandel. Anmaßend nennt sich ein Gruppe die Letzte Generation. Die lässt gern den Autoverkehr stillstehen. Was blöd und gefährlich ist, wenn ein Krankenwagen passieren will, der zu einem Unfall prescht. Eigentlich sind Lebensmittel etwas Kostbares, warum klatschen sie gegen Bilder, die für Esprit, Ideen, Tragik und -- je nachdem -- für Schönheit stehen Tomatensuppe und Kartoffelpüree?

Verzweiflung erscheint nicht unbedingt der beste Ratgeber, der alles rechtfertigt. In der Abendlage des Berliner Tagesspiegels habe ich gestern gelesen: "Es gibt auch Hoffnung. Der Climate-Action-Tracker hatte 2009 noch eine 3,5-Grad-Erwärmung in diesem Jahrhundert errechnet, inzwischen liegt der Prognose-Wert bei 2,5 Grad Celsius." Selbstverständlich bleibt das dramatisch. Doch es ist das Signal, dass die Menschheit etwas für ihre Zukunft tut und nicht die letzte Generation sein möchte.

Kurz vor Schluss bleibt der Dichter des Menschlichen und Allzumenschlichen, Wilhelm Busch: "Auch Dummheit ist eine natürliche Begabung." Bleiben wir lernfähig und setzen den letzten Akkord mit dem Göttinger Physiker des 18. Jahrhunderts, Georg Christoph Lichtenberg, sinngemäß: Es kann nur besser werden, wenn es anders wird. Dafür muss man handeln. Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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