Meine Woche: Wandlungen
von Carlo Eggeling am 30.10.2022Klar war es seit langem, nun der Paukenschlag: Friedrich von Mansberg hat sein Ratsmandat zurückgegeben. Die Distanz zwischen dem SPD-Politiker und seiner Partei dokumentiert sich seit Monaten, er nahm an keiner Ratssitzung mehr teil. Der Dramaturg, der zur Theater-Führungsmannschaft zählt, sagte mir schon vor Wochen, er wolle sich mehr auf den wichtigen Ort der Kultur im Lüneburger Land konzentrieren: "Da werde ich gebraucht." Es gehe darum, die Bühnen zu retten -- eine Insolvenz ist bekanntlich nicht auszuschließen. Fehlende Mittel aus Hannover, wenig Unterstützung von Stadt und Kreis für die Bühne, die Anfang des Jahres für Wochen dichtgemacht wurde, um Geld zu sparen -- und ohne dass es einen großen Aufschrei im eigentlich kulturbewussten Lüneburg gab.
Dass er erst jetzt geht, hängt mit Andrea Schröder-Ehlers zusammen. Aus der Fraktion und der Partei ist es mehrstimmig zu hören: Alles hatte sich dem Landtagswahlkampf der Fraktionschefin unterzuordnen. Bloß keine allzu schrillen Töne, keinen internen Knatsch, der nach außen dringt, das könne schaden. Gereicht hat dieser lustlose Schulterschluss am Ende nicht. Die langjährige, aber in Hannover als farblos geltende Abgeordnete Andrea Schröder-Ehlers unterlag einem frischer daherkommenden Pascal Meenen von den Grünen. Erstaunlich war daran letztlich nur, dass der die Wahl nicht viel deutlicher gewann.
Es war von Andrea Schröder-Ehlers übrigens weder klug noch besonders guter Stil, nach der verlorenen Wahl einfach abzutauchen. Klar, tut es weh, nach 14 Jahren nicht wieder ins Parlament einzuziehen. Doch als Profi drückt man den Rücken durch bedankt sich, kümmert sich um sein Team und fährt dann zur Seelenpflege an die Ostsee.
Dass Schröder-Ehlers und die Genossen nicht um von Mansberg kämpfen, ist ein Spiegel einer mäßig organisierten Fraktion, die nicht wirklich verstanden hat, dass Opposition viel mehr Angriff bedeutet und geschlossene Reihen. Dafür müssten Partei und Fraktion eine Bilanz ziehen: Wie sehr hat der ewige OB Ulrich Mädge während der langen Regentschaft dafür gesorgt, dass kritische Stimmen wenig Chancen besaßen, zu Solisten in einem Orchester zu werden. Welche Partitur spielt man heute, wie bindet man selbstverliebte Akteure in das neue Orchester ein? Wer sollen künftig die Gesichter der Partei sein, wer kommt als als künftiger/künftige OB-Kandidat(in) infrage? Wie baut man jemanden dafür nach innen und außen auf? Wie vor vier Jahrzehnten Mädge und seine Rebellen damals Altvordere zur Seite drängten, müsste eine jüngere Truppe Positionen vorgeben und Posten übernehmen. Da ist der junge Bundestagsabgeordnete Jakob Blankenburg gefragt. Kann er neben freundlich auch machtbewusst?
Die Sozialdemokraten verlieren jetzt ihren besten Redner im Rat, einen der auf den Punkt kritisieren kann, ohne zu verletzten. Der für seine Sache brennt, der über Parteigrenzen als zugewandter und vor allem kompetenter Gesprächspartner gesehen wird. Keiner ist der Kultur -- weit über das Theater hinaus -- so verbunden und so gut vernetzt wie Friedrich von Mansberg. Wer kann in der SPD diese Rolle ausfüllen? Wer füllt sie eigentlich in anderen Parteien aus?
Es lohnt oft, einen Blick zurückzuwerfen. Alte Wunden mögen für von Mansbergs Entscheidung eine Rolle spielen. 2017 versuchte die alte Parteiführung der umstrittenen Abgeordneten Andrea Schröder-Ehlers das Mandat in Hannover streitig zu machen: Sie hoben von Mansberg auf den Schild. Der unterlag knapp. Es klingt beinahe prophetisch, als er vor fünf Jahren bei einer Parteiveranstaltung kritisierte, was manche Sozialdemokraten bis heute umtreibt: "Wir hier aus der Region Lüneburg sind nicht gut gehört, nicht gut vertreten worden in Hannover. Wir bleiben nur dann ein roter Wahlkreis, wenn wir mit unseren Themen durchdringen." Rot ist erst einmal zu Ende in der Stadt. So und so.
Die grüne bürgernahe Oberbürgermeisterin gewährt nicht jedem ein Interview, die LZ bekam eins. Sie zeigte sich gnädig. Da geht es heute auch um mehr Stellen für die Verwaltung. Claudia Kalisch wörtlich: "Klar ist auch, wir haben zusätzliche Aufgaben bekommen. Und wenn keiner da ist, der es macht, ist keiner da, der es macht. Oder wie es im Film Ziemlich beste Freunde heißt: Keine Arme, keine Kekse!" Total lustig, finde ich. Ich bin gespannt, ob auch die Empfindsamen bei den Grünen, die jed:innen mitdenken, lauthals lachen, wenn sich andere Empfindsame mit oder ohne Arme bei ihnen melden.
Betroffenheit, wenn man Zeitung liest und Nachrichten schaut. Deutschland steht demnach kurz davor, ähnlich arm zu werden Burundi oder der Kongo. Teure Lebensmittel, Strom und Heizung unbezahlbar. Armutsmärsche an diesem Wochenende, Verzweiflung. Die Menschen können sich nichts mehr leisten. Wirte erzählen medial in anteilnehmenden Reportagen, sie wüssten nicht ein noch aus. Deshalb kann die Wirklichkeit nur eine Illusion sein. Ich war ein bisschen unterwegs in den vergangenen Tagen, meine Bilanz: an der Ostsee volle Cafés und Restaurants, Bremerhaven und Stade volle Cafés und Restaurants. In Lüneburg heute an der Schröderstraße und im Wasserviertel volle Cafés und Restaurants. Wahrscheinlich gibt es viel mehr Lottogewinner als man denkt. Mir fällt keine andere Erklärung ein.
Trotzallem bleiben wir positiv, was bleibt uns übrig? Montag feiern wir den Reformationstag. Er erinnert an Martin Luther, der 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen haben soll. Im Kern ging es darum, dass es für die Vergebung von Sünden keiner Ablasszahlung an die Kirche bedarf. Jesus Christus sei für unser aller Sünden am Kreuz gestorben. Welch eine Wandlung der Welt. Wenn ich auf mich schaue, erleichtert mich das sehr. Das könnte ja auch anderen so gehen. Carlo Eggeling
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