Messerattacke — ein paar Hintergründe
von Carlo Eggeling am 26.04.2023Die messerscharfe Auseinandersetzung von Sonntag auf dem St.-Stephanus-Platz hat selbstverständlich eine Vorgeschichte. Die soll so gehen: Vor Wochen kam es in einem von Iranern betriebenen Lokal am Sand zu einem Streit. Afghanische Gäste hatten möglicherweise zu viel getrunken. Sie sollten gehen. Es gab Theater, eine Scheibe ging zu Bruch. Im Hintergrund schwelte der Streit weiter. Am vergangenen Sonnabend stürmte einer der Afghanen wieder in das Lokal, ging auf einen 25-Jährigen los, Tische und Stühle kippten um. Nun sollen die Iraner versucht haben, den Streit zu schlichten. Ein Treffen in Kaltenmoor vor der Kirche. Es endete allerdings nicht nach dem Jesus-Wort "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", sondern eher mit alttestamentlichem Groll: Die afghanische Seite soll keine Friedenstaube mitgebracht haben, sondern auf Messerattacke gesetzt haben. Zudem fielen Schüsse aus einer Schreckschusspistole.
Die Iraner, zwei von ihnen erheblich verletzt, sollen von dem Angriff überrascht gewesen sein und zudem Angst gehabt haben, dass die Kontrahenten weitere "Kräfte" hinzuziehen könnten. Flucht im schwarzen Mercedes in Richtung Hamburg, dort sollte es in ein Krankenhaus, mutmaßlich Boberg, gehen. Festnahme in Hamburg-Bergedorf am Weidenbaumsweg. Die Polizei habe deshalb so schnell zugreifen können, weil es zig Handyaufnahmen gab, natürlich auch mit dem Kennzeichen des Wagens. Zudem soll die Kamera eines Unternehmens einen Großteil des Geschehens aufgezeichnet haben.
Was sagt die Polizei dazu? "Einen Teil haben wir ja bereits mitgeteilt", erklärt Polizeisprecher Kai Richter. Den Rest will er nicht kommentieren, sagt aber: "Sie sind meistens gut informiert." Die Beamten ermitteln wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und eines versuchten Tötungsdelikts. Inzwischen sind alle Beteiligten wieder auf freiem Fuß.
Nun stellt sich die Frage, was steckt hinter dieser Eskalation? Verletzte Männlichkeit, verschmähte Liebe, ein Zufall? Oder gärt etwas im Untergrund? Eben das versuchen die Ermittler Auf der Hude weiter auszuleuchten. Zwar heißt es, die bislang acht bekannten Beteiligten spielten nach aktuellem Stand keine Rolle bei der sogenannten Clan-Kriminalität oder bei Drogengeschäften. Einzelne, alle leben in Stadt und Landkreis Lüneburg, seien wegen Körperverletzungsdelikten bekannt.
Doch überrascht das Ausmaß der Auseinandersetzung und auch der Ort: Der Platz ist wie eine Bühne, er war in der Vergangenheit mehrmals der "Spielplatz" von Revierkämpfen. Die "Strukturermittler", also die Beamten, die seit langem in den Blick nehmen, wie kriminelle Netzwerke in der Stadt arbeiten beziehungsweise arbeiten könnten, dürften das Geschehen durchleuchten und sich mit der Frage beschäftigen: Drängen neue Akteure auf den Markt?
Interessant ist dabei, was der vor einem Jahr aus seinem Amt scheidende Kripo-Chef, Steffen Grimme, sehr offen ansprach: Eine Familie, die man in Lüneburg mit Drogenhandel in Verbindung bringt, setze unter anderem auf afghanische Flüchtlinge als Klein-Dealer. Diese Form des Subunternehmertums war in dieser Spielart neu für Lüneburg. Damals hatte es harte Auseinandersetzungen unter anderem im Wasserviertel gegeben, Schlägereien. Machtkämpfe.
Als neue Wirte sozusagen einen Handelsplatz und Drogenverstecke auf den Toiletten entdeckten und schlossen und Dealer aus ihrem Nachtlokal drängten, kam es vor gut zwei Jahren zu einem regelrechten Angriff. Ein Wirt hatte es erzählt: Man musste sich hinter der Tür verbarrikadieren, weil Gläser und Flaschen geworfen wurden. Inzwischen habe man selber, aber auch Kollegen alles wieder besser unter Kontrolle, das liege auch daran, dass Sicherheitspersonal an den Türen stehe -- das koste eine Menge Geld.
Auch unter dem neuen Kripo-CHef Holger Burmeister verfolgen die Beamten ihre Linie der Kontrollen in der Innenstadt und den Ermittlungen im Hintergrund weiter. Burmeister hatte den Ansatz kürzlich gelobt, da sei gute Arbeit geleistet worden. Die Polizei "erntet"
immer wieder: Alle Monate hebt sie eine Dealer-Gemeinschaft aus, stellt kiloweise Drogen sicher. Das zeigt vor allem eins: Der Nachschub versiegt nie lange, neue Akteure schließen die Lücken.
In Sachen Kaltenmoor bitten die Ermittler um Hinweise: 04131 83062215. Carlo Eggeling
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