Lüneburg, am Freitag den 09.05.2025

Monster — schrecklich normal

von Carlo Eggeling am 20.03.2025


Der Schriftsteller und Journalist Heinrich Thies liest am Donnerstag, 27. März, um 19 Uhr in der Kulturbäckerei aus seinem in die Nachkriegszeit führenden Roman „Sally“. Begleitet wird die Lesung von Mariska Nijhof (Akkordeon, Gesang) und Peter Hokema (Geige, Mandoline, Gesang).



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Monster kommen schrecklich und schrecklich normal daher. Das Böse sieht man niemandem an. So empfand es die Publizistin und Denkerin Hannah Arendt. Es liegt nahe, dass Heinrich Thies sie in seinem Nachwort erwähnt, wenn er über einen Organisator des Massenmordes während des Nationalsozialismus erzählt. Thies schreibt über Adolf Eichmann. Der Kriegsverbrecher versteckte sich am Kriegsende 1945 in einem Heidedorf nahe des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, bevor er nach Argentinien floh und dort lange Jahre unentdeckt lebte.

Eichmann schuf die bürokratischen Bedingungen dafür, dass sechs Millionen Juden in die Lagern der Nationalsozialisten transportiert und ermordet wurden. Thies, ehemals Chefreporter der Hannoverschen Allgemeinen, verknüpft Eichmann mit Sally, einer jungen Frau, die Auschwitz überlebt hat und nun als Displaced Person in einer jüdischen Gemeinschaft lebt, eben bei Belsen. Die Rolle Sallys basiert auf der Biografie Dolly Friedler-Kotz‘, einer Tänzerin, die 1922 in Riga geboren wurde und das Ghetto Litzmannstadt, heute Lodz in Polen, überlebte.

Sie liebt Schauspiel und Ballett, engagiert sich. Eichmann lebt unter der Scheinidentität des Otto Heninger, als Fassade handelt er mit Eiern. Die beiden lernen sich kennen, gehen miteinander tanzen. Einerseits empfindet sie den Mann als eigentümlich, unheimlich und übergriffig, andererseits als freundlich und zugewandt. Die Wege der beiden trennen sich. Sally, die später heiratet, wandert nach Israel aus. Eichmann schafft es, mit Hilfe alter Nazis nach Argentinien zu entkommen. Dort spürt ihn der israelische Geheimdienst auf, entführt ihn nach Israel -- in Jerusalem wird ihm der Prozess gemacht. 1962 wird er hingerichtet.

Sally, so der Roman, hört im Prozess zu und stellt sich die Frage, ob ein Staat das Recht hat, jemanden mit dem Tod zu bestrafen. Sie erinnert sich an ihre Erlebnisse mit Eichmann -- und ist damit bei Hannah Arendt: Monster sind auf den ersten Blick alltäglich. Sie sind Väter, Freunde, Kollegen. Dazu Buchhalter des Todes. Reicht das für die Todesstrafe? Ist was legal ist auch legitim?

Wer sich auf Thies Roman einlässt, lässt sich auf minutiöse Geschichtsstunden ein. Detailliert beschreibt der Autor den Lebenslauf Eichmanns. Der ist lange bekannt, vielfach erzählt, etwa in den 1980er Jahren als Theaterstück Heinar Kipphardts, ein Jahr nach seinem Tod wurde sein Stück "Bruder Eichmann" uraufgeführt, Autor Kipphardt hatte zahlreiche Zitate aus Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem verwandt. In der gleichen Zeit hatte der Historiker Jochen von Lang das Eichmann-Protokoll veröffentlicht, eben Prozessberichte. Eindringlich beschäftigte sich ein Film 2015 mit Fritz Bauer. Der Frankfurter Generalstaatsanwalt, Sozialdemokrat und Jude brachte die Israelis auf die Spur Eichmanns in Argentinien. Titel der beeindruckenden Gesellschaftsstudie, die die muffige Bundesrepublik, die sich ihrer mörderischen Vergangenheit nur mühsam stellt: Der Staat gegen Fritz Bauer.

Schriftsteller Thies lebt in der Lüneburger Heide. Er hat inzwischen zwanzig Bücher veröffentlicht. Sein Familienroman Alma und der Gesang der Wolken, den er 2022 veröffentlichte, wurde vom NDR zum Buch des Monats gekürt.

Das Buch ist im Lübecker Rote Katze Verlag erschienen. Es hat 344 Seiten und kostet 24 Euro. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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