Moralisch. Unmoralisch?
von Carlo Eggeling am 17.12.2022Meine Woche
Moralisch
Am Donnerstagabend war ich bei meinem Stammtisch. Da sitzen Frauen und Männer in einer Runde. Ich glaube, niemand fühlt sich wegen seines Geschlechts abgewertet, besser oder schlechter. Als ich nach Hause radelte, traf ich auf eine Demonstration der Feministischen Aktion Lüneburg. Vorne "Frauen, Lesben, nichtbinäre, inter, trans und agender Personen", dahinter ein Block mit Männern, die gegen faschistische Tendenzen marschierten. Die sich feministisch verstehende Spitze der Bewegung wollte Mackern auf die Fresse hauen, sie in die Friteuse stecken und so'n Kram. Die Botschaft war wohl: Wenn uns einer wie auch immer auf die Pelle rückt, wir können uns wehren.
Das kann ich nachvollziehen, dass frau sich sich wehrt und auch die anderen geschlechtlich und Identitäts-Definierten. Allerdings war es eine knüppelnde, fast blutrünstige Sprache, die da durch die Straßen gellte. So ein bisschen wie Krieger, die auf Schilde schlagend in die Schlacht ziehen. Ich habe mich gefragt, hatten die keine Väter oder waren die Papas alle Macker? Was ist, wenn die Frauen mal Kinder bekommen, was passiert mit denen, die das Pech haben, biologisch betrachtet als Sohn zur Welt zu kommen?
Bei uns am Tisch sitzen alte weiße Männer, Finanzbeamter, ehemaliger Polizist, Arbeiter, manchmal ein Professor, Kaufmann, Rentner, dazu Buchhändlerin, Krankenschwester, Archäologin, Kino-Betreiberin, Personalrätin. Darf ich die alte weiße Frauen nennen? Mir gefällt ganz gut, dass jeder und jede sagt, wenn er/sie was blöd findet, dass wir bestens streiten können über Politik, Filme, den Alltag. 15, 20 unterschiedliche Menschen im Gespräch. Ich frage mich, ob es nicht furchtbar anstrengend ist, wenn man sich ständig abgrenzen und definieren muss.
Ans Herz ging mir, dass mich der Schwule Heidekönig Ben und und seine Adjutunte Isabell alias Eike besucht haben mit einer Weihnachtstüte. Ein Dankeschön, weil ich über sie schreibe. Ich verstehe nicht all ihre Anliegen, sie nicht immer meine Haltung. Ist aber ziemlich egal, weil ihr Kurs gut und richtig ist. Und wenn wir mal zusammen etwas trinken oder feiern, macht das riesigen Spaß. Da stellt sich keiner die Frage nach seiner Identität oder muss sie ellenlang erklären. Es passt einfach.
Im scheinbar Großen wirkt es stets existenziell und schwer. In einem anderen Zusammenhang, es geht um deutsche Außenpolitik, sagt der ungeliebte Philosoph oder Meinungsmacher David Richard Precht, viele trügen einen "Eimer Moral wie eine Monstranz vor uns her". Viele wissen heute genau, was gut und richtig ist, allerdings schließt es schnell die aus, die anders leben. Wie will man die erreichen, wenn man ihnen zu verstehen gibt, dass sie auf der falschen Seite stehen und völlig falsch liegen?
Schafft sich da nicht eine andere Form der Klassengesellschaft? Die moralisch Wertvollen und die Tunichtgute? Wie geht das wiederum mit der Abschaffung des Kapitalismus und der folgenden klassenlosen Gesellschaft übereinander? Vermutlich braucht es Hegel und Marx, um diese Dialektik zu erklären.
Anderes Thema. Schön, dass sich die Politik darauf besinnt, dass das Theater Teil der Identität der Region ist. Stadt und Kreis wollen nun eine millionenschwere Bürgschaft für die bedrohte Bühne übernehmen. Aller Ehren wert. Bestimmt legen sich unsere lokalen Vertreter im Landtag und im Ministerinnenrang zudem mächtig ins Zeug, um in Hannover eine bessere Finanzierung der Theater in Niedersachsen und eben auch des Hauses am Robert-Stolz-Platz hinzubekommen: drei Grüne und Sozi, die ja mit in der Regierung sitzen, zwei CDUler und einer, mit dem die anderen eher weniger zu tun haben wollen, von der AfD. Was für ein Wumms, oder?
In diesem Sinne, bleiben wir heiter und friedlich. Das passt gut zur Adventszeit. Carlo Eggeling
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.