Neues ALA-Heft blickt kritisch aufs Rathaus und erinnert an Curt Pomp
von Carlo Eggeling am 27.11.2023Es kann ein Traum oder ein Albtraum sein: Die Jahrhunderte alten Fassaden am Sand und auch der gut 100 Meter hohe Turm von St. Johannis grün bewuchert, Straßencafés strecken sich mit Biergärten weit vor, es bleibt ein Streifen in der Mitte, den teilen sich ein Wasserlauf mit einer Gondel wie in Venedig und eine schmale Spur für einen Bus. Oben drüber schwebt ein Lasten-Zeppelin. Am Ende des Platzes dreht sich ein Riesenrad. Zu arbeiten scheint niemand. Klimaentscheid, Stadtverwaltung und die Denkfabrik Reinventing Society haben diese Vison entwickelt und in einem Gemälde gebündelt. Es kann eine schöne neue Welt sein, oder -- wie der ALA meint -- ein "Rummelplatz" mit "bloßen Kulissen für grüne Räusche".
Was als Zukuftsversion "Unser Leitbild -- Lüneburg 2030" gelten soll, zerreißt Prof. Werner Preuß im neuen Heft Aufrisse des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt. Der Essay darf als Sicht des Vereins gewertet werden. Die Kritik zieht sich weiter durch das Heft: Der Abriss der letzten alten Teile des 1900 eröffneten Krankenhauses für den Bau des Mutter-Kind-Zentrums findet wenig Verständnis. Ein paar Erinnerungen wie Fenster, Türen und Geländer solle man retten, wenn das Eigentliche fällt. Auch hier: Den Denkmalschutz habe die zuständige Abteilung des Rathauses zu wenig im Blick.
Harsche Kritik noch einmal an der Verwaltung, die es zuließ, dass der Wintergarten der Villa Heyn an der Altenbückertorstraße abgerissen wurde. Die Begründung, dieser Teil gehöre nicht zum ursprünglichen Bau, scheint aufgrund verschiedener Recherchen kaum haltbar. Aus der Aufsichtsbehörde in Hannover heißt es, dass man die Stadt ermahnt habe, weil sie eine bauhistorische Untersuchung unterlassen habe -- das zielt in Richtung der Baudezernentin Heike Gundermann und in der Konsequenz auf Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch. Nicht umsonst zitiert das Heft einen Beitrag des Journalisten Ulf Stüwe, der aufgreift, dass die Grüne Ratsfraktion Wolf von Nordheim ausgeschlossen hat -- den grünen Parteifreund oder -feind, der immer wieder in Hannover nachhakte in Sachen nicht ausreichender Kontrolle durch die Verwaltung.
Es erinnert an alte Zeiten, als Vereinsgründer Curt Pomp vor einem halben Jahrhundert die unsensible Abriss-Politik von Rat und Verwaltung anprangerte. Allerdings gibt es einen Unterschied: Der inzwischen verstorbene Pomp wusste eine Bürgerbewegung hinter sich, mobilisierte gar den damaligen LZ-Chefredakteur Helmut Pless, gemeinsam verhinderten sie den Bau einer Tiefgarage unter dem Marktplatz. Diesen Resonanzboden und die Vehemenz vergangener Jahrzehnte präsentiert und findet der ALA heute nicht mehr. Im Kern moniert Preuß und damit der Verein den aus seiner Sicht wenig empfindsamen Umgang mit Denkmalen.
Da schließt sich ein Kreis. Denn ein großer Teil des Heftes dreht sich um Curt Pomp, den "Retter der Lüneburger Altstadt". Der Bildhauer, Goldschmied und Restaurator kam Ende der 1960er Jahre nach Lüneburg. Er sah in von den Jahren gezeichneten Fassaden die verblichene Anmut, ihre lebendige Vergangenheit. Er kämpfte gegen Bagger, gegen Ignoranz im Rathaus, bei Baufirmen, bei Hausbesitzern. Nicht immer mit Erfolg, aber doch so, dass vieles erhalten blieb. Er erreichte noch mehr: einen Wandel im Bewusstsein. Es war eben kein alter Krempel, sondern Schönheit, die sich veränderte in der und durch die Geschichte, die durchaus mit der Moderne harmonieren kann.
Kurz vor seinem 90. Geburtstag ist Curt Pomp im vergangenen Sommer gestorben. Lüneburg hat ihm viel zu verdanken. Er fehlt. Einer wie er fehlt. Die Stadt könnte einen wie ihn gut gebrauchen. Carlo Eggeling
++ Das Heft Aufrisse ist erhältlich im ALA-Büro unter 04131 267727.
Die Bilder zeigen das Heft, die Trauerfeier Pomps und ein Bild auf dem Hof seines Hauses zwischen Neuer und Ohlinger Straße.
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