Lüneburg, am Sonntag den 07.12.2025

Nur dagegen sein reicht nicht

von Carlo Eggeling am 06.12.2025


Meine Woche
Nehmen und Geben

Gut, dass sie demonstrieren und sagen, dass sie nichts vom Wehrdienst halten. Sollte es nach dem Streik der Schüler einen Tadel geben, wäre es eher eine Auszeichnung, denn die Mädchen und Jungen nutzen ein Grundrecht und treten für ihr Anliegen ein. Gelebte Demokratie. Gut so. In einer säbelrasselnden Zeit braucht es Widerworte gegen eine klirrende Sprache, die an Stahlgewitter erinnert und immer selbstverständlicher wird. Aber.

Es täte einigen ganz gut, sich an Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" zu erinnern. Es erschien 1928, zehn Jahren nach dem Ersten, elf Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, in dem noch effizienter geschossen und gebombt wurde. 17 Millionen Tote im ersten Krieg zwischen 1914 und 1918, 65 Millionen im zweiten. Das sind Schätzungen. Remarques Worte klingen banal und grausam: "Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und selbstverständlich. Die Angriffe wechseln zu Gegenangriffen, und langsam häufen sich auf den Trichterfeldern zwischen den Gräben die Toten. Die Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, können wir meistens holen. Manche aber müssen lange liegen, und wir hören sie sterben."

Die Mahnung ist das eine, die Begründungen mancher Demonstranten in den Nachrichten gegen Musterungspflicht und mögliche Zeit bei der Armee das andere. Das Land würde ihnen für einen Wehrdienst ein Jahr oder mehr klauen. Sie würden nicht gefragt, ihnen würde die freie Entscheidung geraubt. Aha. Es gibt auch eine Schulpflicht.

Der Staat klaut Zeit. Na und? Die Selbstverständlichkeit, mit der die Gesellschaft Kindergärten, Schulen und Universitäten betreibt, ist nicht so selbstverständlich. Das System, so unperfekt es sein mag, kann letztlich jeder nutzen. Straßen, Radwege, Züge, Krankenhäuser, Parks, Umwelt- und Naturschutz, Sozialsysteme -- verbesserungswürdig ohne Frage -- sind materielle Dinge die der Staat gibt. Vor allem gibt die Demokratie das Recht, ihre Fehler und Schwachpunkte zu analysieren, dagegen auf die Straße zu gehen und zu klagen.

Der Staat fordert, ja. Es gibt einen berühmten Satz, der John F. Kennedy zugeschrieben wird, dem amerikanischen Präsident, der 1963 von einem erschossen wurde, der wenig von Kennedys demokratischen Werten hielt: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt."

Ich habe den Kriegsdienst, so hieß das damals, verweigert, ich habe in Bremerhaven gegen die Anlandung amerikanischer atomwaffentauglicher Raketen demonstriert. Ich musste zur Gewissensprüfung, als ob man das prüfen könnte. Ich habe aus politischen Gründen verweigert. Schon vor Jahrzehnten fand ich es selbstverständlich, mich zu verteidigen. Die Blödsinnsfrage, was ich tun würde, wenn ich zufällig eine Waffe dabei hätte und jemand meine Freundin vergewaltigen wollen würde, habe ich klar beantwortet. Ich würde nicht wie Jesus Christus die andere Wange hinhalten.

Zivildienst habe ich beim Roten Kreuz und später bei der Lebenshilfe geleistet. Was für ein Gewinn, zu sehen, dass Menschen, die dies und das nicht können, genauso nett und doof wie jeder andere sein können. Wie gut es ist, dass sie ein Teil unseres Lebens und Landes sind. Viele von den Zivis, mit denen ich 18 Monate meiner wertvollen Zeit verbracht habe, haben begriffen, was für ein Geschenk es ist, weg von Mutti und Papi zu sein, die so vieles abnehmen und entschuldigen, wie erhellend es ist, wenn der Job nicht in Ordnung war, eine Ansage durch den Chef und die "Behinderten" zu bekommen.

Ich habe gebraucht zu verstehen, dass die Bundeswehr zu denen gehört, die die Demokratie verteidigen und ein Teil von ihr ist. Bei einem bin ich mir sicher: Wirtshausschläger-Typen wie Putin und Trump beeindruckt es kein bisschen, wenn man ihnen mit Kirchentagslyrik à la "Das weiche Wasser bricht den Stein" kommt. Die kalkulieren, ob ihr Gegenüber ihnen schlicht und ergreifend im Zweifel auf die Fresse hauen könnte. Angst ist ihr Geschäft.

Wie gut, dass wir in unserem Land demonstrieren können. Dafür Zeit zu investieren wie bei einem freiwilligen Jahr lohnt sich und hat etwas mit Verantwortung zu tun. Die Entscheidung, wo Männer und Frauen das tun wollen, liegt bei ihnen. Ohne Gewissensprüfung.

Sich für andere einzusetzen, war diese Woche ein großes und leider auch tragisches Thema. In Adendorf starb am Freitag ein Mann, als er Bewohner aus einem brennenden Haus rettete. Ihm gilt Dank und Trauer, seiner Familie ebenfalls, dazu Anerkennung und Hilfe, mit dem schweren Los zu leben.

Danke an die 80, 90 Lüneburger, die sich bei der Tafel engagieren, die Lebensmittel sammeln und an Bedürftige abgeben und deren Weihnachtsfeier ich moderieren durfte begleitet von Musiker Ben Boles und Schauspieler Gerry Hungbauer. Danke für den Tag des Ehrenamtes, der den Blick auf die vielen lenkt, die sich in Vereinen, Organisationen, ihrer Nachbarschaft einsetzen. Danke an die Aktiven im Arbeitskreis Lüneburger Altstadt, die am Wochenende den historischen Christmarkt zu einer Zeitreise mit Genuss verwandeln.

Da geht's hin, auf eine Bratwurst und einen Apfel-Punsch. Zum Schluss Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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