Lüneburg, am Sonntag den 29.06.2025

Per Einbahnstraße in die Zukunft?!

von Winfried Machel am 10.09.2023


Lüneburg will in die Verkehrswende einsteigen. Dazu soll der Verkehrsentwicklungsplan (VEP) von 1990 durch einen Nachhaltigen Urbanen Mobilitätsplan (NUMP) abgelöst werden. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Regionalverband Elbe-Heide interviewte dazu den Verkehrsgeographen Prof. Dr. Peter Pez von der Leuphana Universität.

VCD: Herr Pez, Sie haben sich schon häufig zu Verkehr und Planung in Lüneburg geäußert, darunter erzeugte eine Einbahnstraßenidee vor zuletzt drei Jahren viel Aufmerksamkeit. Was hat es damit auf sich und wird die Idee in den NUMP einfließen?

Pez: Ja, diese Idee brachte ich erstmals sogar schon 2017 in die Diskussion und dem Planungsbüro, das die NUMP-Entwicklung betreut, ist sie auch bekannt. Im Kern geht es um das Problem der Flächenknappheit. Das drückt alle Städte und wird mit der Energie- und Antriebswende, also den Elektro-Kfz, nicht gelöst. Innenstadtnah konzentrieren sich in Lüneburg Hauptverkehrsströme auf den Stadtring und die zuführenden Straßen. Einige von Letzteren verlaufen innenstadtnah nahezu parallel. Meine Idee ist, dort eine wechselseitige Einbahnstraßenführung einzuführen. Damit wird im Idealfall eine Fahrspur frei und die könnte als Umweltspur dem Bus- und Radverkehr übereignet werden – für beide sieht’s nämlich im Innenbereich ziemlich eng aus. Die Einbahnstraßenführung gilt also nicht für den Umweltverbund. Da können Taxen gerne inbegriffen sein und ganz sicher auch Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen und Entsorgungsfahrzeuge. Auch wenn auf der entlasteten Spur also einiges an Restverkehr verbleibt, dürfte das für den Umweltverbund ein erheblicher Flächen-, Geschwindigkeits- und Komfortgewinn werden.

VCD: Welche Straßen kommen für ein solches System infrage?

Pez: Die Bleckeder Landstraße östlich bis Höhe Pulverweg bzw. Am Schützenplatz, da wurde die Verkehrsführung durch baustellenbedingte Sperrungen faktisch schon erprobt, ohne dass der Verkehr zusammenbrach. Das gilt ebenso für die Soltauer Straße zwischen Stadtring und Heidkamp. In der Nachbarschaft kommen die Uelzener Straße und der Oedemer Weg bis Munstermannskamp und Heidkamp/Ringstraße infrage. Und auch „Auf der Höhe“ eignet sich, nur mit dem Unterschied, dass man dort wegen der Straßenenge und der Parkstände am Fahrbahnrand keine gegenläufige Umweltspur hinbekommt, sondern mit einer so genannten unechten Einbahnstraße vorliebnehmen muss. In dieser wäre Gegenverkehr von Linienbussen, Radverkehr und weiteren berechtigten Fahrzeugen per Beschilderung zuge­lassen.

VCD: Ein häufig gehörtes Argument ist, dass mit solchen Maßnahmen Autofahrer und damit Innenstadtkunden vergrault werden.

Pez: Wenn man Einbahnstraßen flächig und mit eng beparkten Randstreifen ausweist wie in der östlichen Innenstadt Lübecks oder im großen Grachtenbereich von Amsterdam, dann erzeugt man einen Labyrintheffekt, der wirklich abschreckt. Das sehe ich hier überhaupt nicht. Die Verkehrsleitung wäre neu, aber in sich klar, logisch und erst mal nicht langsamer für den Autoverkehr. Einbahnstraßen beschleunigen diesen eigentlich, weil Linksabbieger kaum noch auf Gegenverkehr warten müssen und Ampelsteuerungen für die Flussrichtung mit längeren Grünphasen geschaltet werden können. Wichtig ist die Gewähr, mit dem Auto weiterhin alle Ziele erreichen zu können. Im Gegensatz zur innerstädtischen Verkehrs­beruhigung von 1993 rüttele ich daran überhaupt nicht.

VCD: Hatten Sie nicht auch den Stadtring in Einbahnführung ins Gespräch gebracht?

Pez: Stimmt, aber nicht als erste, sondern als letzte, allerletzte Maßnahme, um der Verkehrsflut Herr zu werden, wenn alles andere ausgereizt ist. Und auch dann nicht als vollständiger Einbahnring, sondern nur zu drei Vierteln im Norden, Westen und Süden. Die Nord-Süd-Verkehrsachse westlich von Lösegraben und Ilmenau – also Schießgrabenstraße und Willy-Brandt-Straße – trägt die Hauptlast des Verkehrs. Hier wird Zweirichtungsverkehr nötig bleiben, denn große Teile des Stadtringes wären mengenmäßig zur Aufnahme von Verkehrsströmen, die dort kein Ziel oder keine Abzweigung finden, nicht geeignet.

VCD: Wie herum müsste die Einbahnrichtung geschaltet werden?

Pez: Das will ich ohne genauere Untersuchung noch nicht abschließend beurteilen, vermute aber, dass „gegen den Uhrzeigersinn“ sich anbieten würde.

VCD: Sie betonten „allerletzte“ Maßnahme. Gibt es da noch etwas?

Pez: Ich denke auch an einige gezielte Sperrungen von Straßen für den Durchgangsverkehr. Es sind nicht viele, aber sie ergänzen das Konzept eines neuen Verkehrsleitungssystems. Konkret handelt es sich um die Scharnhorststraße bei der Leuphana Universität und die Thorner Straße auf dem Kreideberg. Beide leiden unter viel Durchgangsverkehr, damit Lärm und Unfallrisiken, bei der Scharnhorststraße macht der Durchgangsverkehr 45 % aus. Für beide Straßen gibt es im Bestand Umfahrungen, die einst auch für diese Funktion vorge­sehen waren und dementsprechend gebaut wurden, das sind Munstermannskamp und Ostpreußenring. Sperrungen von Scharnhorst- und Thorner Straße würden es erlauben, dort Quartiersplätze für Begegnung und Aufenthalt zu gestalten bzw. aufzuwerten. Auch hier gilt aber, dass Linienbusse und Radverkehr weiterhin Durchfahrt behalten sollen, z. B. durch versenkbare Poller wie südlich der Uni in der Heinrich-Böll-Straße. Eine weitere Straße kommt nicht so sehr wegen der Quartiersaufwertung hinzu, sondern weil ich damit rechne, dass in absehbarer Zeit senkungsbedingt Kraftfahrzeuge dort nicht mehr fahren können, das ist der innenstadtnahe Teil des Ochtmisser Kirchsteiges. Hier sollten wir vorausschauend denken, das Verkehrsgeschehen durchrechnen und langfristig verkehrsverlagernd planen.

VCD: Was meinen Sie mit „durchrechnen“?

Pez: Basis solcher Eingriffe ins Verkehrsgeschehen sind so genannte Verkehrsumlegungs­berechnungen. Das erfolgt computermodellgestützt auf Basis von Verkehrszählungsdaten. Künftige Verkehrsströme durch Sperrungen und Einbahnstraßenausweisungen lassen sich so näherungsweise vorhersagen, das sollte man für die Planung nutzen. Ich will es mal in Analogie zur Medizin formulieren: Ich verfolge zwar ein minimalinvasives Konzept, um zu heilen, aber es bleiben ja Eingriffe in stark frequentierte Verkehrsadern, da sollte man vorher den Ultraschall bemühen. Was diese Rechenmodelle allerdings nicht leisten, sind Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl vom Auto zu ÖPNV und Radverkehr vorherzu­sagen.

VCD: Gerade die wären für die Umweltpolitik besonders interessant. Können die nennens­wert sein, wenn Sie die Autos minimalinvasiv gar nicht „vergraulen“?

Pez: Durchaus, denn die vorgeschlagenen Veränderungen sind für Bewohner/innen Lüneburgs und wohl auch noch des ersten Vororteringes deutlich spürbar. Sie werden sich vermehrt fragen, ob sie ihr Ziel insbesondere mit dem Fahrrad nicht deutlich schneller erreichen können als mit dem PKW. Das kann man meist heute schon, dieser Effekt würde mit Umsetzung meiner Ideen zunehmen, der Reisezeitnachteil des Busses würde zumindest verringert werden. Für Gäste aus größerer Entfernung würde sich jedoch reisezeittechnisch nur ganz wenig verändern, aufgrund klarer Verkehrsführung und besserer Ampelschaltung womöglich nicht einmal nachteilig. Bei denen schafft man eine Verkehrsverlagerung nicht mit Verkehrsrestriktionen in der Stadt, sondern durch Attraktivierung der Autoalternative Bahn. Ich spreche von einer Taktintensivierung und Beschleunigung der Wendlandbahn und einer Reaktivierung der Bahnstrecken nach Bleckede und Amelinghausen/Bispingen/Soltau.

VCD: Gibt es zu den Verkehrsmittelwahländerungen Vorerfahrungen?

Pez: Nehmen wir Lüneburg selbst. Die innerstädtische Verkehrsberuhigung des VEP stand unter dem Erfolgsvorbehalt, dass eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs um 25 % stattfände. Das wurde tatsächlich erreicht. Basis dafür war eine per Reisezeitexperi­ment gemessene Verlängerung der Gehzeit vom Parkplatz zum Ziel beim PKW von durch­schnittlich gerade mal einer Viertelminute. Das war auf seine Weise bereits minimalinvasiv mit dennoch erdrutschartiger Wirkung. Wir stehen heute in einer sehr ähnlichen Situation wie zu Beginn der 1990-er Jahre. Damals sorgten Wachstum bei Einwohnern und Kfz-Besitz für tägliches Chaos in der verkehrsdurchfluteten Altstadt, viele Unfälle, hohe Lärm- und Abgasbelastung. Der VEP bescherte uns nicht nur eine erlebenswerte und wirtschaftlich belebte, tourist(inn)endurchflutete Altstadt, sondern eben auch deutlich weniger Autover­kehr. Diese VEP-Dividende ist durch 14.000 zusätzliche Einwohner/innen allein in Lüneburg – hinzu kommen weitere Zuwächse in den Vororten – aufgezehrt und wir haben auf Zufahrts­straßen und dem Stadtring wieder täglich Stausituationen. Wie damals ist es nicht erfolgver­sprechend, dafür Straßen auszubauen, denn das erhöht nur die Attraktivität des Autos, löst das Problem also nicht, sondern verstärkt es. Verkehrsminderung muss das Ziel sein und Einbahnstraßen gekoppelt mit wenigen Netzunterbrechungen führen zu geringen Umweg­fahrten, bei denen aber die Vorteile des davon nicht betroffenen Umweltverbundes schon sehr deutlich ins Auge springen. Das regt zum Überdenken der Verkehrsmittelwahl an. Und je mehr Menschen das Auto stehen lassen, desto geringer werden Stauprobleme und Park­raumsuchaufwand. Man steht eben nicht hinter Radfahrenden und wenigen Bussen im Stau, sondern hinter zu vielen anderen PKW. Hier muss man ansetzen, um nachhaltig und zukunftsfähig zu agieren.

VCD: Vielen Dank für das Gespräch, viel Erfolg bei Ihren Bemühungen!

© Fotos: Pixabay


Kommentare Kommentare

Kommentar von Jochen
am 10.09.2023 um 13:50:42 Uhr
"Mit dem Fahrrad die Thorner Straße"
War Herr Pez da schon mal. Jeder weiß, welche Steigungen die Thorner Straße, die Bleckeder und die Dahlenburger Landstraße und die Strecke Richtung Moorfeld haben. Alle diejenigen mit körperlichen Einschränkungen, können dann die unzuverlässigen Busverbindungen mit den ganzen Einkaufstüten nutzen und sind einen halben Tag auf Achse.
Mal wieder Klientelpolitik.
Kommentar von Erwin Habisch
am 21.01.2024 um 12:46:45 Uhr
"Mit dem Fahrrad die Thorner Straße" - war "Jochen" schon mal da? Vom Ost- zum Westende sind es gerade mal 6 Meter Höhenunterschied auf einer Strecke von 630 Meter - also weniger als 1 % Steigung. Flacher geht es in Lüneburg fast nirgends zu.
Die "unzuverlässigen Busverbindungen" brauchen vom Platz am Sande bis zur Bunsenstrasse 22 Minuten, manchmal auch ein paar Minuten länger. Ein halber Tag dauert bei mir länger.
Den Fahrzeugen am Ochsenmarkt entsteigen an Markttagen zumeist fitte Personen, von denen ein Großteil nicht halb so alt ist wie ich. Wenn die nicht mehr mit dem Pkw in die Innenstadt fahren, ist mehr Platz für Personen mit körperlichen Einschränkungen da - nicht weniger.


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