Plattfuß der Rad-Aktivisten
von Carlo Eggeling am 15.11.2025Meine Woche
Unfall Ilmenaustraße. In echt
Wenn es für das "Abzocken von Fördermitteln" eine unechte Fahrradstraße geben solle, müsste es auch unechte Parkplätze geben, statt Autos Betonklötze -- Keno Freund von der Gruppe Linke/Die Partei fasste die Debatte, vermutlich eher unfreiwillig, zusammen: Aus für die Fahrradstraße Ilmenaustraße. Das Publikum konnte lauthals lachen. Wie über die gesamte Darbietung, die der Rat am Donnerstag in der Ritterakademie aufführte. Für die einen ging es scheinbar um das Heiligtum Parkplatz, für die anderen ums heilige Fahrrad. Dem Sattel-Kämpfer drohten Abgas-Katastrophe sowie schlimmste Verletzungen, Handel und Anwohnern der blanke Horror. Eine Seitenstraße plötzlich überlebenswichtig.
Geht`s ums Rad mag die Politik gern die Groteske: Die Ex-Grüne mit Fraktionsanbindung, Andrea Kabasci, wusste zu berichten, dass samstags derart viele Autos über die Ilmenaustraße drängten, dass sich Familien kaum noch vor die Tür trauten, Eltern hätten Angst um ihre Kinder. Tödliche Gefahr. 441 Radfahrer seien vergangenes Jahr in Deutschland gestorben. Erschütternd. Allerdings anderswo. Denn es gab laut Polizei so gut wie keine Unfälle und schon gar keine schweren auf den lebensbedrohlichen 300, 400 Meter Ilmenau-Asphalt.
Beim selbstberufenen "Chefideologen" Blanck lagen die Nerven blank, erneut ein Projekt der Grünen, dem der Plattfuß beschieden ist, ähnlich wie beim Marienplatz. Dann legte Dr. Corinna Maria Dartenne nach (namentlich mit stummen E, wie sie betont), sie holte ein Interview mit Alt-OB Ulrich Mädge aus tiefen Kiste, der habe 2020 die schnelle Umsetzung des Radrings zugesagt. Der Sozialdemokrat zog vor vier Jahren aus dem Rathaus aus, scheint aber wie ein böser Traum auf der grünen Seele zu lasten -- kein Rat ohne Erinnerungskultur. Besonders klug war der Dartenn`sche Einwand eh nicht, da die Frage nahe liegt, warum die grüne Regentin seit 2021 in diesem Zusammenhang ähnlich viel umgesetzt hat wie beim Marienplatz. Irgendwie – nichts.
Puh, die Grünen hatten es den anderen mal so richtig gezeigt. Das ist clever, wenn man eigentlich einen Kompromiss bräuchte. Der lag mit einem Vorschlag der Verwaltung bereits vor. Künftig Längsparken und eine Radlerpiste. Doch in den vergangenen Tagen hatten sich CDU, SPD und FDP abgestimmt und sich darauf besonnen, wie sie den Rats-Grünen einen Stock in die Speichen stecken. Es half kein Helm und keine Hosenklammer. Rumms! Wahrscheinlich war das die radlerische Gefahr der Ilmenaustraße, die Frau Kabasci so eindrücklich beschrieben hatte. Fette Beule, aufgeschlagene Knie. Immerhin überlebt.
Denn was CDU, SPD und FDP ins Feld führen ist im gleichen Maße absurd. Ein paar gestrichene Parkplätze beschleunigen den Kollaps des Einzelhandels? Sinnkrisen bei Anwohnern, den das heuer endlos scheinende Reservoir der Stellflächen verlustig gehen würde. Im Ernst? Das Gemälde des Trios, aber ebenso von Grünen und Linken wirkte so düster und ausweglos wie das Weltuntergangsszenario des flämischen Malers Pieter Breugel "Triumph des Todes" aus dem 16. Jahrhundert. Alles unecht, um Keno Freund zu zitieren.
Die Verwaltung kann nach dem beschlossenen Änderungsantrag von CDU, SPD, und FDP kaum etwas tun: "Keine baulichen Eingriffe, die den ruhenden Verkehr oder die Erreichbarkeit für Anwohner, Lieferverkehr und Gewerbetreibende verschlechtert, und eine Gestaltung der Uferfläche für mehr Aufenthaltsqualität berücksichtigt." Zudem möge die Verwaltung trotzdem zuschauen, wie sie für die "unechte" Fahrradstraße Fördermittel einheimst. Wie soll das gehen?
Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch, foto- und videomäßig gewöhnlich gern das Gesicht von "Damit sich was dreht", so ihr Wahlkampfslogan, drehte sich bis auf ein paar Worte weg. Ihr Verkehrsminister Markus Moßmann verteidigte muksch, was nicht mehr zu verteidigen war. Für ihn sei die Ilmenaustraße die Fahrradroute überhaupt, wenn er vom Amt in der Ratsmühle zum Rathaus strample, auf keinen Fall übers Pflaster Am Berge. Oh ja, das geht dem Großteil der Radler so, wenn er von der Ratsmühle zum Rathaus möchte. Die meisten vereint gemeinhin andere Ziele und Wege, Am Berge lang.
Die Spitze der Verwaltung drehte nicht bei. Wie wäre es gewesen zu sagen: Pause, wir sehen ein, wir müssen besser erklären, um viele mitzunehmen. Fördermittel können wir später noch abrufen, zum einen haben wir Zeit, zum anderen können wir eine Verlängerung beantragen. Wir nehmen in einer Kampagne mit Veranstaltungen und Aktionen die mit, die betroffen sind am Fahrradring, der bis zur Hauptpost laufen soll und wo die nächsten Konflikte programmiert sind. Viele, die Radring hören, bekommen inzwischen Pickel. Funktioniert Öffentlichkeitsarbeit so?
Ein Beispiel. In einem weiteren Schritt, so wirken weitgehend unbekannte Pläne, könnten am Ochsenmarkt Parkplätze wegfallen. Die Marktbeschicker hätten nichts davon gewusst, hielt die SPD Moßmann entgegen. Doch, konterte der, er habe es schließlich vergangenen Samstag dem Vorsitzenden der Markthändler erzählt. Ein Multifunktionsstreifen solle kommen. Was bedeutet Streifen, warum erzählt man Wichtiges nebenbei?
Marktleute betonen, einige Kunden kämen, die Kartoffeln, Äpfel und Co am Rand des Marktplatzes ins Auto laden. Scheint bei Fahrradplanern nicht angekommen zu sein. Oder es ist ihnen egal. Der Bürger möchte rufen: Herrschaftszeiten! Gilt der Komiker Gerhard Polt: "Ich brauch' keine Opposition, ich bin schon Demokrat?"
Das Ganze wirkt wie eine Klatsche für Oberbürgermeisterin, Adlatus Moßmann und ihren Speichen-Planer Bastian Hagmaier -- und für die Grünen und samt ihrer Alliierten von Radentscheid, VCD und ADFC. Eine Quittung dafür, dass sie die Stadtgesellschaft zu wenig eingebunden haben, was der mit 7300 Unterschriften angestoßene Radring um die Innenstadt bedeutet.
Wen vertreten die drei Organisationen, die sich für die Radler starkmachen? Der Radentscheid gibt keine Mitgliederzahlen preis, organisatorisch sitzt er in Berlin. Wirkt tief verankert in Lüneburg. Der ADFC habe 700 Mitglieder in Stadt und Kreis, heißt es auf Anfrage. In der Stadt leben rund 80 000 Menschen. Es ist nicht repräsentativ, aber Radfahrer, die ich kenne und spreche, sagen: Über die Ilmenaustraße kann ich bestens fahren. Ihre Wünsche: bestehende Radwege reparieren und im Herbst Laub fegen, Radparkhaus am Bahnhof sicherer machen, Routen neben den Hauptstraßen entwickeln. Wo bleibt die Befragung dazu? Wo Ergebnisse?
Was passiert jetzt? Die CDU will den Ausstieg aus dem Radfahrer-Programm im nächsten Rat Anfang Dezember beantragen. Mal sehen, wer mitgeht. Damit sind wir bei einem der vier großen Themen der nächsten Kommunalwahl 2025. Die lädierten Grünen werden die Zweirad-Frage mutmaßlich nach vorne stellen und wie bei der Wahl 2021 zum Grundsätzlichen erklären. Dafür brauchen sie Bündnispartner, da könnte das nächste Bürgerbegehren anstehen. Ein Radentscheid.
Da Schwarze, Rote und Gelbe gemerkt haben, wie sie polarisieren und den Grünen in den Reifen piksen können, wäre es folgerichtig, sich das nächste gemeinsame Projekt vorzunehmen: Saufnasen, Drogis, Lärm und Dreck im dornigen Rote-Rosen-Idyll. Die CDU will Law and Order, die SPD viel Sozialarbeit. All das trifft auf eine Stadtverwaltung, die mit einem aufgerüsteten Ordnungsdienst punkten wollte, der aber augenscheinlich wenig verändert. Die Sozialdezernentin schafft es wie ihr Vorgänger nicht, eine Anlaufstelle für die zu bieten, die im freien Fall durchs angeblich soziale Netz straucheln.
Wenn sich die Politik einigt, lässt sie Mitarbeiter der Stadt gegen organisierte Bettler vorgehen, die in Gruppen einfliegen. In der städtischen Satzung steht, man dürfe nicht auf dem Pflaster sitzen. Da kann man nichts machen? Was wäre mit einer Sondernutzung des Gehwegs, wenn man Betteln als Geschäft verstehen will -- jedes Café muss Gebühren zahlen. Da geht nichts? Und ein paar Container auf dem Lambertiplatz oder im Clamart-Park sind undenkbar? Die abgebrannte Schlachterei Isermann in Kirchgellersen hat solche Kisten in Tagen organisiert.
Wohnen und Soziales. Die Verwaltung richtet offenbar wenig bis nichts gegen die Vonovia aus, die monatelang keine Reparaturen in den Hochhäusern in Kaltenmoor erledigt, wo Fahrstühle nicht fahren. Was sollte wortmächtig alles gehen, konnte man auf Sitzungen hören. Kauf unmöglich? Die SPD könnte sich profilieren, CDU und FDP marktwirtschaftliche Kompetenz beisteuern.
Wirtschaft. Leerstehende Geschäfte, abwandernde Firmen, die hier keine Flächen finden und daher in die lockenden Gewerbegebiete rund um Lüneburg abwandern, samt Gewerbesteuern. Trotz eines extra eingestellten städtischen Wirtschaftslotsen. Ob man Stabsstellen im Rathaus, bei Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung und Sparkasse, die von Stadt und Kreis getragen wird, auf die Sprünge helfen könnte?
Und wie wäre es, sich auf einen parteilosen OB-Kandidaten zu einigen, der das austrahlt und kann, was fehlt: Eine Vision für Lüneburg in den nächsten Jahren, einen, der versöhnt und motiviert, einen, der praktische Politik macht, weil er die Stadt kennt und weiß, mit wem er wie redet, um ihn einzubinden? Einen, der sagt, was eben nicht mehr geht oder länger dauert.
Sollte Lüneburg tatsächlich so etwas Aufregendes wie Politik erleben? Der nächste Rat wird anders aussehen. Das Klima ist ein anderes. Am Freitag gingen eher Eltern und Großeltern bei Fridays for Future mit, gerade mal 300 Teilnehmer laut Polizei; es waren mal Tausende. Die Grünen dürften nicht nur klimatisch Einbußen erleiden, deren Ex-Jugend ballt lieber mit der Linken Heidi Reichinnek die Faust. Was die SPD so beschickt? Die FDP? Die CDU? Aufwind dürfte die AfD spüren, das zeigen Umfragen und Wahlergebnisse von mehr als 30 Prozent in Kaltenmoor. Was, wenn die Partei zweistellig im Rat sitzt?
Wer glaubt dann noch an einen Fahrradring? Angesichts von Schulden, die in den kommenden Jahren um jeweils rund 50 Millionen Euro nach oben klettern sollen? Schon den letzten Haushalt hat die Kommunalaufsicht nur mit der Maßgabe des Sparens genehmigt. Ganz in echt. Was sagen Sie, Herr Freund? Carlo Eggeling
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