Lüneburg, am Samstag den 27.12.2025

Positiv, immer positiv

von Carlo Eggeling am 27.12.2025


Meine Woche
So schöne Worte

Hach, wie ist die Zeit behaglich. Im Fernsehen laufen Wiederholungen aus vermeintlich besseren Jahren, wohlig. Schwarzwald-Klinik, Ich heirate eine Familie, Das Traumhotel. Zwischen den Jahren bleibt der normale Mist draußen. Weil wir so milde gestimmt sind, nehmen wir es nicht krumm, dass Weihnachtsansprachen gern flunkern oder zumindest nicht die ganze Geschichte erzählen. Nicht nur der Bundespräsident kann Erbauendes mit Mahnung.

Der Landrat verkündet mit einem Lächeln, das den Weihnachtsmann in den Schatten stellt, dass die Kreisverwaltung zum wundervollen Tag der offenen Tür eingeladen hatte, man Ehrenamtlern auf die Schulter geklopft habe, das Theater habe man gerettet, obwohl es nur eine Atempause ist, weil die Finanzierung mangels Dauerförderung Hannovers weiter wackelt. Das Prinzip Hoffnung greift gleich zweimal, die Elbbrücke nach Neuhaus werde kommen. Also irgendwann. Die kreiseigene Nahverkehrsgesellschaft Moin nehme Anfang Januar ihren Betrieb auf: "Das wird toll!"

Toll steckt in so schönen Wörtern wie Tollpatsch und Tollhaus. Dass die Busgesellschaften neulich noch Fahrer gesucht haben, dass die Betriebshöfe nicht fertig sind, dass Rufbusse durch Taxen ersetzt werden, für die Kunden tiefer in die Tasche greifen sollen -- egal. Könnte bei Kunden die Laune anregen. Tollwut. Wie toll Verwaltung und Politik Wirtschaft können, haben sie bei der Arena bewiesen, doppelt und dreifacher teurer als kalkuliert. Brandschutz und Fluchtwege, da war doch was.

Weihnachten. Sorgenfrei. Leere Kassen bei Kreis und Stadt. Na und? Berliner Laune. Der damals regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, wusste vor reichlich zwanzig Jahren, was das Leben lustig macht: "Arm aber sexy." Berlin war und ist immer geile Party. Gilt an der Ilmenau erst recht.

Schnasseln wir einen. In der Zeitung heißt das Motto fröhlich eingeschenkt. Der Chefredakteur trifft sich auf einen Glühwein mit Claudia Kalisch. Wir dürfen lesen, andere Bürgermeister blickten neidisch auf Frau OB. Welche? Fragt man doch nicht. Dann knistert es beinahe: "Kalisch ist Politikerin durch und durch und leidenschaftlich." Leidenschaftlich, was für ein Spannungsbogen, es kribbelt. Sie sei jetzt im Rathaus angekommen, habe Strukturen angepasst. Wow. Nach vier Jahren, was hat sie sonst so lange gemacht?

Der Kollege schreibt packend weiter: Mit "fester Stimme" sage sie, dass fünf Jahre Amtszeit nicht reichten. Nun, der Mann ist neu in der Stadt, ein Archiv eine altmodische Sache, heute geht's im Journalismus viel ums Gefühl. Das mag die Bewunderung erklären, wenn der geneigte Leser -- sorry, ein schiefes Bild -- sozusagen optisch aufsaugen darf, es sei "viel ums Retten" gegangen: „Krankenhaus retten, Theater retten, Innenstadt retten, Museum retten, Galeria retten, Gradierwerk retten. Dazu die Infrastruktur erhalten und das Stadtmarketing stärken.“ Und: "Jetzt wolle sie mehr gestalten. Und das brauche auch Zeit."

Im Rettungsboot hat Frau OB scheinbar alleine gerudert. Oder? Im Krankenhaus regiert vor allem der Kaufmann und Geschäftsführer Michael Moormann, das Theater hangelt sich hin, die Innenstadt verzeichnet 40 bis 50 Leerstände, Saufnasen, Drogis, viel Unzufriedenheit, ein kippendes Wasserviertel. Dass Galeria bleibt, hat mit dem Immobilienunternehmer Jürgen Sallier zu tun, der dem Konzern bei der Miete entgegengekommen ist und leere Flächen an ein dänisches Möbel- und Accessoires-Geschäft verpachtet hat. Das Gradierwerk krachte fast zusammen, denn rund zwei Jahre passierte nix, weil sich die Städtische Gesellschaft als Träger weigerte, Geld in die Hand zu nehmen.

Infrastruktur? Ein Ring von Baustellen erinnert an Blockaden zur Innenstadt. Stadtmarketing gestärkt? Mit einem bescheidenen Stadtfest, mäßig besuchten Sülfmeistertagen, einem nicht wahrzunehmenden Innenstadtmanagement? Weihnachten, freundlich bleiben: Ein halbes Dutzend Kioske sind natürlich ein Erfolg.

Tiefschürfend wird's bei der Sentenz des Kollegen: "Vielleicht sei auch ein Shuttle, ähnlich dem Adventsshuttle überlegenswert." Das Kalisch-Zitat: „Manches werden wir noch einmal neu denken müssen.“ Wie gesagt, eine Archivrecherche ist schweine langweilig. Da könnte man lesen, dass die Idee ein Evergreen in Verkehrskonzepten mehrerer Parteien ist.

Jedem Lüneburger geht das Herz auf, wenn er vom Glück der Oberbürgermeisterin lesen darf: „Ich bin in Lüneburg zum ersten Mal in meinem Leben richtig zu Hause.“ Ankommen und Wurzeln. Allerdings lebt sie seit Jahrzehnten in der Region, sie hat hier studiert. Aber stimmt schon, sie zog vor drei Jahren von Reppenstedt zurück in den Schatten von Nicolai und Michaelis. Das wärmt so sehr wie Driving home for Christmas.

Was für ein großes, großes Glück, nein, journalistische Hartnäckigkeit, dass der Kollege Chefredakteur Zutritt in die Welt der Oberbürgermeisterin erhielt und ihr richtig auf den Zahn fühlte. Denn ansonsten heißt es auf Anfragen im Rathaus stets, Frau Kalisch habe gar keine Zeit für Interviews. Es sei wahnsinnig viel zu tun. Deshalb ist das Volk gemeinhin dankbar für ein siebenköpfiges Presseteam plus zwei persönlichen Referenten, sie liefern Reden, Fotos, Videos und Newsletter, wirklich völlig neutral. Jede andere Wahrnehmung verdient die Rute des Weihnachtsmannes.

Im Artikel erfährt das Publikum, der Wahlkampf sei irgendwie zu spüren. Potztausend. Wer wäre darauf gekommen? Wie viele Glühwein muss der Kollege aus Neutralitätsgründen noch trinken, mit Vertretern von SPD, CDU, FDP, Linke, AfD und wahrscheinlich Volt. Weihnachten ist durch. Schmeckt das Zeug im Sommer ebenso und macht so redselig? Kommunal wählen Stadt und Land schließlich erst im September.

Bis dahin könnte man darauf kommen, dass Journalisten Gegenpositionen einnehmen, Fragen stellen, einordnen. Auch am Hof der Mächtigen. Wäre nützlich für die, die Journalisten bezahlen. Leser und Zuschauer. War bei uns im Volontariat selbstverständlich, sonst ging der Text nicht durch beim Chef. Entschuldigung, Weihnachten!

Bleiben wir heiter. Silvester steht an. Augenblicke für Knaller. Hauptsache, das Feuerwerk ist bunt. In diesem Sinne, Prost. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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