Lüneburg, am Samstag den 16.08.2025

Recht mit Einschränkungen — Stadt interpretiert ihre Satzung

von Carlo Eggeling am 15.08.2025



In Satzung der Stadt Lüneburg stehen ein paar eindeutige Sätze. Unter dem Passus "über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ist unter Paragraph 4 zu lesen: "Auf Straßen ist es verboten, zu liegen oder zu übernachten, auf Abgrenzungsmauern, Bänken und Stühlen, soweit sie auf öffentlichen Straßen stehen, zu liegen oder zu übernachten." Was so eindeutig scheint, ist es nicht, denn das Rathaus kommt zu einer anderen Bewertung.

Auf Anfrage von LA heißt es: "Dieses Verbot greift jedoch nicht pauschal bei jedem Aufenthalt im öffentlichen Raum. Personen, die aufrecht sitzen, ansprechbar sind und sich beispielsweise mit einem Getränk aufhalten, verstoßen damit nicht automatisch gegen das Ortsrecht. Auch das schlichte, nicht aggressive Betteln ist nicht untersagt." Von diesen Ausnahmen ist in der Satzung nichts zu lesen.

Was also müsste passieren, damit der Kommunale Ordnungsdienst, von der Oberbürgermeisterin als Idee in die Politik gebracht und vom Rat abgesegnet, eingreift? Die Antwort: "Ein ordnungsrechtliches Einschreiten erfolgt erst, wenn das Verhalten über ein bloßes Verweilen hinausgeht, etwa durch deutliches Lagern, aggressives Betteln, Störungen der öffentlichen Ordnung oder erhebliche Verunreinigungen. Spätestens in solchen Fällen wird durch den KOD das Gespräch gesucht und bei Bedarf ein Platzverweis ausgesprochen."

Das klingt nach Geduld und Verständnis. Aber nicht nach der so klar formulierten Vorgabe im Ortsrecht. Vor knapp drei Wochen war es der LZ eine Seite 3 wert, darüber zu berichten, dass ein Obdachloser auf der Bühne des Glockenhofs campierte. Der Mann soll Gäste im von der LZ bewirtschafteten Café belästigt haben. Es sei so schlimm gewesen, dass die Mitarbeiterinnen den Laden schlossen.

Der Artikel: Man habe die Polizei gerufen. Die sei nicht gekommen. Nachfrage bei der Polizei. Antwort: Es ist kein Vorgang zu dem Geschehen zu finden. Polizeisprecher Michael Koenemann sagt: "Wenn wir eine Bedrohungslage geschildert bekommen, kommen die Kollegen." Der auffällige Mann, 32 Jahre alt und psychisch krank, ist der Polizei bekannt, "er fällt ab und an auf". Hausfriedensbruch, Belästigungen, Ladendiebstahl.

Auch die Stadt sei informiert worden, heißt es in dem Artikel, später sei ein Sozialarbeiter gekommen, da sei der penetrante Mann zum Müllsammeln unterwegs gewesen. Der Lebensraum Diakonie und dort der Herbergsverein hat von der Stadt diese Form der Straßensozialarbeit übernommen. Eine Nachbarin schildert gegenüber LA: Gelöst habe das Problem schließlich die Stadtreinigung, die habe die Hinterlassenschaften des Mannes abtransportiert, seinen Schlaf- und seinen Rucksack zurückgelassen. Sein bisschen Habe sammelte der Mann schließlich ein und ging.

Es wirkt schlicht hilflos, wie Stadt und Sozialarbeit reagieren. Denn die Erklärung, die der Chef des Herbergsvereins, Thorben Peters, sowie die Bereiche Ordnung und Soziales der Stadt liefern, lesen sich stets gleich: Wir reden und versuchen zu überzeugen. Wir brauchen mehr Sozialarbeit, betont Peters auch im LZ-Artikel. Die müsste die Stadt dem Diakonieverband sicher bezahlen. Doch selbst wenn die da wäre, stößt sie an Grenzen. In diesem Fall ist es offensichtlich.

Auf die Nachfrage von LA bei der Stadt kommt auch von dort eine gewohnte Antwort: "Es gibt einen engmaschigen Austausch zwischen Verwaltungsmitarbeitenden, KOD und aufsuchender Sozialarbeit, um sich über konkrete Vorkommnisse zu informieren und jeweils schnell mit entsprechenden Angeboten reagieren zu können. Die aufsuchende Sozialarbeit wird jeweils involviert und berät die betreffenden Personen hinsichtlich passender Unterstützungs- und Hilfeangebote. In vielen Fällen funktioniert das bereits gut. Es gibt jedoch auch klare Grenzen für eine Stadtverwaltung. Die Menschen können nicht gezwungen werden, bestimmte Angebote anzunehmen. Allein die Anwesenheit der Personen in der Innenstadt ist wie oben beschrieben auch kein Verstoß gegen das Ortsrecht oder eine Straftat."

Dann der Satz aus dem Rathaus: "Verstoßen die Personen gegen das Ortsrecht oder gegen Gesetze, schreiten Ordnungsdienst oder Polizei ein." Was fehlte dann vor drei Wochen am Glockenhof, um einschreiten zu können? Wir erinnern uns an den LZ-Artikel: Belästigung von Gästen, ein Lagerplatz mit Müll, Missbrauch des Platzes als Toilette.

Dauerhaftes Campieren. An mehreren Stellen wie etwa an der Bardowicker Straße haben sich Bettler eingerichtet, täglich. Noch einmal das Ortsrecht: "Auf Straßen ist es verboten, zu liegen oder zu übernachten, auf Abgrenzungsmauern, Bänken und Stühlen, soweit sie auf öffentlichen Straßen stehen, zu liegen, zu übernachten."

Mit welchem Konzept Sozialdezernentin Gabriele Scholz und ihre Mitarbeiter den Menschen auf der Straße eine Alternative bieten wollen, bleibt im Dunkeln, außer dem zitierten Passus des Gesprächskreises war in der Antwort von keinem konkreten Ansatz zu lesen. Sozialer Treffpunkt, Szene-Café, war in der Vergangenheit genannt worden. Dass die Verwaltung keinen Vermieter findet, der ihr Räume für einen Sozial-Treffpunkt zur Verfügung stellen will, war bislang die Standardantwort. Schon von dem Vorgänger von Frau Scholz, der zurück ins heimische Bremen wechselte.

Vertreibung wird die Herausforderung nicht lösen. Das hat der Umbau des Clamartparkes gezeigt. Die Drogenszene trifft sich nun anderswo. Am Sand zum Beispiel, wo die Oberbürgermeisterin zwei grüne Oasen als Alternative zur Bushaltestelle installiert hat. Eine dritte Oase wird auf dem Lambertiplatz von der Szene genutzt. Ketzerisch könnte man fragen, ob das die konsumfreie Orte sind, die derzeit so en vogue sind. Zur Erinnerung: Bekanntlich soll ein Bürgerrat für den Schrangenplatz einen konsumfreien Ort entwickeln.

An der Grapengießerstraße hat sich ein weiterer Treffpunkt nahe des Supermarktes gebildet. Geschäftsleute berichten von ähnlichen Szenen wie auf dem Glockenhof, gerade in Sachen öffentliche Toilette -- Hauseingänge übernehmen die Funktion. Täglich.

Kann sich die Situation ändern? Wie läuft es mit dem KOD, dem Kommunalen Ordnungsdienst? Antwort aus dem Rathaus: "Aktuell sind drei Stellen mit vier Mitarbeitenden besetzt. Zum 1. September 2025 wird eine fünfte Person den Dienst aufnehmen. Hinzu kommen 5 Vollzeitstellen aus dem Zentralen Ordnungsdienst, die gemeinsam mit dem KOD unterwegs sind. Weitere Stellen werden bis nächstes Jahr noch ausgeschrieben. Die Zielgröße für den KOD sind 13 Stellen, die sukzessive aufgebaut werden. Dafür werden zum einen neue Stellen geschaffen und entsprechend qualifiziertes Personal eingestellt, hinzu kommen Stellen aus dem Zentralen Außendienst (ZAD), die jetzt schon vorhanden sind, aber perspektivisch in solche des KOD umgewandelt werden."

Und wie lief es bisher, was haben die KOD-Mitarbeiter erreicht? Antwort: "Es werden regelmäßig Platzverweise ausgesprochen, sofern es die Situation erfordert und dem KOD rechtlich möglich ist. Diesen Platzverweisen wird bisher folge geleistet. Die Einsätze umfassten überwiegend ordnungsrechtliche Kontrollgänge, präventive Präsenz an bekannten Treffpunkten, Ansprechbarkeit für Bürger:innen, Begleitung von Sozialarbeit und Polizei sowie Maßnahmen bei Störungen des öffentlichen Raums – insbesondere im Zusammenhang mit Obdachlosigkeit, Alkohol- und Drogenkonsum oder Verunreinigungen. Ergänzend erfolgten Einsätze auf Zuruf, wenn dem KOD konkrete Hinweise oder Beschwerden übermittelt wurden."

Es gibt Haltepunkte. Das Stövchen an der Heiligengeiststraße ist eine Art Heimat für Menschen, deren Seele Schrammen hat. Der Wendepunkt an der Salzstraße dient als Adresse und Kontaktstelle, für Menschen ohne Wohnung. Auch für Menschen die an Drogen- und/oder Alkoholsucht leiden, bestehen Angebote.

Doch es gibt Menschen, die durch das Netz des Sozialstaates nur begrenzt aufgefangen werden. Was ist mit denen, die psychisch schwerer krank sind? Die Psychiatrische Klinik kann Menschen nur in Akutsituationen aufnehmen, die gehen wieder, wenn sie sich beruhigt haben. Die Polizei berichtet regelmäßig von diesem Drehtür-Effekt -- die Beamten kümmern sich dieselben Menschen. Was ist mit fehlendem Wohnraum, der gerade für diese Klientel noch schwieriger zu ergattern ist als für andere.

Bei allem Verständnis für Menschen in Not, das viele in der Stadt haben, wächst der Unmut über die Verelendung mitten in der Stadt. Das ist in Gesprächen mit Geschäftsleuten, Touristen und Einheimischen zu hören. Welchen Weg will Lüneburg nehmen? Zumindest lenken könnte man bestimmte Entwicklungen. Noch einmal das Ortsrecht: "Auf Straßen ist es verboten, zu liegen oder zu übernachten, auf Abgrenzungsmauern, Bänken und Stühlen, soweit sie auf öffentlichen Straßen stehen, zu liegen, zu übernachten." Carlo Eggeling


© Fotos: Leser


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