Reichsbürgerin muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis
von Carlo Eggeling am 22.11.2022Die Justiz zeigt Heike Werding, wie sich die Demokratie sich gegen ihre Feinde wehrt. Die Kammer hält sie für „brandgefährlich“
Heike Werding lebt in einer sehr eigenen Welt. Die Bundesrepublik als Staat gibt es für sie nicht. Seine Institutionen seien alle Handelsunternehmen, die in der USA registriert seien, damit hätten sie keine Entscheidungsgewalt, es fehle die Legitmation. Das gelte auch für die Justiz. Die bewies der 61-Jährigen am Dienstagnachmittag, die Realität ist eine andere: Die Staatsschutzkammer am Landgericht verurteilte sie wegen Volksverhetzung und anderer Delikte, so hatte sie sich, hne es zu sein, als Rechtsanwältin ausgegeben, zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Der Vorsitzende Richter, Dr. Michael Herrmann, sagte: "Sie wollten es amtlich haben. Das haben Sie nun. Und die Staatsgewalt bekommen Sie seit sechs Monaten zu spüren." Solange sitzt die Angeklagte in Untersuchungshaft.
Was Heike Werding vertritt, klingt so absurd, dass ihr Pflichtverteidiger, Dr. Norbert Lösing, bei seiner Mandantin "schizophrene Züge" ausmachte, sie glaube in ihrem "Wahn", sie sei berufen zu großen Dingen. "Sie hat sich ihre eigene Realiität zusammengebastelt", sagt der Anwalt, der es schwierig hatte: Heike Werding sei überzeugt, dass der Pflichtverteidiger nicht berechtigt sei, sie zu vertreten, und das Gericht könne nicht über sie urteilen. Der Jurist sagte, doch der Staat könne und müsse sich wehren. Seine Verteidigung basiere auf den Werten der Demokratie.
Die Kammer folgte der sehr ausführlichen Argumentation von Staatsanwältin Wiebke Bethge. Die fasste zusammen, was der Prozess gezeigt hatte. Heike Werding sieht sich als führenden Kopf der im März durch das Bundesinnenministerium verbotenen Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Trotz des Verbots im Frühjahr 2020 habe Werding weitergemacht, sie sei die "Spinne im Netz" gewesen. Sie habe in Schriften und auf Internetkanälen gehetzt gegen nicht "Beheimatete". Nachdem sie vor einem halben Jahr festgenommen und in Untersuchungshaft kam, seien die Aktivitäten des Vereins gegen null zusammengefallen.
Die Angeklagte hatte noch aus der Untersuchungshaft heraus Schreiben an Politiker und Behörden verschickt, deren Repräsentanten erklärt, sie hätten ihre Posten zu räumen: Von -- wörtlich -- "standesrechtlichen Erschießungen" könne man absehen, und die Betroffenen in lebenslange Haft stecken. Muslime, Juden und Freimaurer hätten das Land binnen 90 Tagen zu verlassen. Ihre Gemeinschaft, die bundesweit 200 sogenannte "Gemeinen" gegründet habe, wollte Söldner einsetzen, die das krude Weltbild durchsetzen sollten. Im Zweifel mit Gewalt. Rassenhass und Volksverhetzung.
Sowohl die Staatsanwältin als auch das Gericht hielten Werdings Treiben für "brandgefährlich". Richter Herrmann stellte sie in eine Reihe mit den russischen Revolutionsführern Lenin und Trotzki und dem Nazi-Propaganda-Minister Joseph Goebbels: Die hätten sich die Hände selber "nicht schmutzig" gemacht, seien aber für den Tod von Millionen verantwortlich. Staatsanwältin Bethge sagte, wenn auch sich die Angeklagte als gewaltlos beschreibe, würde es reichen, wenn einer ihrer Anhänger meinte, er müsse ihre Thesen umsetzen und zur Waffe greifen.
Das griff Herrman in seiner Urteilsbegründung auf, er erinnerte an einen sogenannten Reichsbürger, der einen Polizisten erschossen hatte, als der mit Kollegen das Haus des Mannes durchsuchen wollte. Die Bundesrepublik trage nicht die "Geburtsfehler von Weimar" in sich, sie sei wehrhaft und in der Lage, sich zu verteidigen: Wer die Demokratie bedrohe, bekomme die Folgen zu spüren.
Herrmann rückte die angeblich "wahnhaften" Züge der Angeklagten zu recht. Sie handle sehr rational. Sie habe versucht, ihre Aktivitäten dem Schein nach ins Ausland zu verlagern, weil sie sich quasi dann rechtlich außer Landes wähnte. Das zeige, dass sie sehr wohl auf das Vorgehen des angeblich nicht existenten Staates reagierte.
Das Gericht verhänge mit dreieinhalb Jahren Haft bewusst eine harte Strafe, sagte Herrmann. Der maximale Strafrahmen liege bei fünf Jahren. Sie sei die "Rädelsführerin in dem Konstrukt" gewesen, über ihre Kanäle habe sie "Gift" verspritzt. Während der Verhandlung habe sie keine Einsicht und Reue erkennen lassen. Im Gegenteil. Die Kammer glaube auch nicht, dass die Haft sie beeindrucke. In ihren letzten Worten war kein Umdenken zu erkennen. Heike Werding lebt weiter in ihrer Welt.
Im Gerichtssaal saßen auch Kinder der vierfachen Mutter. Eine Tochter hatte während der Verhandlung auf dem Zeugenstuhl Platz genommen. Sie schilderte, wie liebevoll sich Heike Werding sich um sie und ihre Geschwister und jetzt um ihre Enkelkinder gekümmert habe, wie sie einen obdachlosen Jungen aufgenommen habe. Allerdings gab es irgendwann eine klare Regel: Über Politik sprach man nicht mehr. Die Tochter ist in der Realität der Bundesrepublik zu Hause, anders als ihre Mutter besitzt sie einen Personalausweis, hat Geburtsurkunden für ihre Kinder, und "ich nutze die Infrastruktur" der Bundesrepublik. Es muss schwierig sein, mit zwei Welten zu leben.
Die von Heike Werding bleibt ganz klein. Ob sie in einer Zelle in die Realität zurückkehrt? Carlo Eggeling
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