Lüneburg, am Sonntag den 14.12.2025

Relative Wahrheiten

von Carlo Eggeling am 13.12.2025


Meine Woche
Ungläubiger Glaube

Es war eine Woche des Glaubens, der soll ja Berge versetzen. Öfter als er Gestein versetzt, versetzt er heitere Zeitgenossen in Erstaunen. In der Zeitung durfte Uwe Jensen vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub erklären, wie der Verkehr in Lüneburg besser und sicherer funktionieren würde. „Wenn wir den Fahrradstraßenring jetzt schon umgesetzt hätten, dann wäre der Unfall nicht passiert", weiß der Mann über einen Unfall an der Ecke Altenbrückertor- und Ilmenaustraße. Dort war vor dreieinhalb Wochen eine Radfahrerin mit einem Bus zusammengestoßen und wurde schwer verletzt. Ihr gute Besserung.

Das Warum ist bis jetzt aus Sicht der Polizei ungeklärt, ergab eine Nachfrage: "Es steht im Raum, dass sie unerwartet zur Seite zog. Ein Gutachter ist eingeschaltet." Speichen-Experte Jensen weiß mehr, da kann der Glaube einiges versetzen, besser: ersetzen, die Fakten offenbar.

In seinem Sermon, um im kirchlichen Bild zu bleiben, darf er aus dem Sattel wettern wie weiland Luther von der Kanzel, dass CDU, SPD und FDP den Ring verhindern und sie somit Schuld am Bösen auf den Straßen auf sich laden. Die Parteien haben die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Fahrradstraße Ilmenaustraße gestellt, die anderen außer dem ADFC und seinen Freunden im Lastenrad nicht unbedingt als Hauptverkehrsroute der Radler gilt. Aber vielleicht hängen sie einem anderen Glauben an. Glaubenskriege sind stets fürchterlich ungerecht.

Weshalb niemand wie die Polizei oder der Wissenschaftler Peter Pez, der seit bald vier Jahrzehnten die Lüneburger Verkehrsentwicklung begleitet, zum Fahrradstraßenglück gehört wurde, bleibt eines der Rätsel der Geschichte. Mir fällt der legendäre Chefredakteur des Stern ein, Henri Nannen: "Ihre Geschichte hat eine starke und eine schwache Seite. Sie fängt sehr schwach an, und dann fällt sie ganz stark ab." Wer glaubt, braucht keinen Zweifel und Widerspruch.

Bleiben wir beim Glauben. Ich war eingeladen, im schönen und tollen Theater in der Elbtalaue eine Moderation zum Thema Gendern zu übernehmen. Ich räume ein, mir fehlt der Glaube, dass eine Sprache, die um alle Ausprägungen des Seins mitzunehmen, an einen Schluckauf erinnert und beim Schreiben beispielsweise Sterne setzt, Machtverhältnisse und Diskriminierung verändert. Wenn mir schwule Freunde erzählen, wie sie inzwischen wieder angegiftet werden, wenn sie Hand in Hand gehen, bedarf es sicher mehr als lustiger Ampelmännchen, Entschuldigung: Ampelpersonen.

Die Vertreterin fürs Gendern beherzigte einen anderen Satz Henri Nannens, mutmaßlich ohne ihn zu kennen: "Wer predigen will, muss zunächst dafür sorgen, dass die Kirche voll ist." Deshalb brachte sie ein Dutzend Freunde mit, die viel Respekt forderten und sich schnell diskriminiert fühlten.

Mein Eindruck ist, dass das Gendern einigen zwar so aufstößt wie sauerer Messwein, aber vielen egal ist, sie wollen Leben und leben lassen und ansonsten ihre Ruhe. Dafür spricht das gescheiterte Volksbegehren in Niedersachsen, das Anfang des Jahres gerade mal 21 000 statt nötiger 70 000 Stimmen zusammenbrachte. Da reichte der Glaube an den Unmut nicht. Der Glaube schied dahin.

Wie auch immer, die Anhänger des Genderns waren in Bleckede deutlich in der Mehrheit, es kamen nicht viele Gäste. Eine Zuhörerin wollte den Thesen der anderen Glaubensrichtung trotzdem nicht folgen, sie erinnerte an ihren Biologieunterricht. Wer auf dem rechten Pfad wandelt, der mag keine anderen Wege. So lachten die, die für sich Respekt, Toleranz und Akzeptanz fordern, die Frau aus. Gefordert ist immer der andere.

Der österreichische Liedermacher Wolfgang Ambros sang schon vor Jahrzehnten die Hymne des Verständnisses: "Ein Jeder gehört zu einer Minderheit,
einem Jeden geht was ab.
Ein Jeder hat ein Handicap,
einem Jedem geht‘s so.
Der Eine hat gar nix,
der Andere hat a Geld.
Dem Einen gehört der Himmel
und dem Anderen gehört die Welt."

Da der Wahlkampf längst eingeläutet ist, standen heute Grüne und CDU auf der Bäckerstraße, um die Welt und den Himmel zu versprechen. Wird am Ende eh nix, das wissen alle.

Berichtet wird trotzdem. Noch mal Henri Nannen? Klar, der Mann hatte Visionen und war desillusioniert: "Ich glaube nicht an die Macht der Presse. Die besteht im wesentlichen darin, dass eine Reihe von Politikern daran glaubt – und die wollen wir auch bei dem Glauben belassen."

Mir gefiel Lüneburgs CDU-Chef Heiko Eggers, der den Grünen Schoko-Weihnachtsmänner brachte, die revanchierten sich mit veganen Keksen. Herrlich normal. Ich bekam auch einen, obwohl ich manchem Grünen auf den Keks gehe.

Weihnachten ist in Sicht, da wird es harmonischer. Zumindest gefühlt und wenn man dran glaubt.

An die Zitate-Jäger und die anderen, die mich für blöd halten und unter ungemein gescheiten Namen wie Arno Nym anschreiben und beweisen, was sie wissen und ich nicht, ich freue mich drauf, weil ich glaube, wir haben alle unseren Spaß. Ich lache beim Löschen.

Ansonsten nehmen wir das Wochenende heiter wie die Ansichten eines Clowns, Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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