Schweigen ist gold
von Carlo Eggeling am 05.04.2025Meine Woche
Was für Oasen
Die Oberbürgermeisterin hat sich wieder eine Stadtkonferenz vorgenommen. „Innenstadt im Wandel – Ziele, Zukunft, Zuversicht“ heißt es am 10. Mai. Am Sand fragen sich Geschäftsleute, welche Zukunft ihnen gerade bevorsteht. Seit ein paar Tagen laden zwei sogenannte Grüne Oasen zum Verweilen ein. So ein bisschen Straßencafé, wird gut angenommen. Gestern Morgen tagten dort zwei Dutzend Frauen und Männer, die Trinken als durchaus ernsthafte Angelegenheit ansehen. Sie haben verstanden, dass es nicht mehr um das Kaufhaus Innenstadt geht, sondern um das nun angesagte Wohnzimmer als konsumfreier Ort. Das Bier bringt die Schar mit, um das Leben zu betäuben.
Kurze Umfrage. Obwohl Bürgerbeteiligung und Transparenz wie ein Mantra der städtischen Verwaltung wiederholt werden, hat man es irgendwie versäumt, die Anlieger über die neue Gemütlichkeit zu informieren. Auf Nachfrage soll es geheißen haben, Alkohol sei kein Problem mehr, da das Lebensmittelgeschäft Wist geschlossen habe. Was in zweifacher Hinsicht bemerkenswert ist: Zum einen: Auch ohne Wist kreisen Flaschen und Dosen, zum anderen dürfte Wist nicht für das krankhafte Trinken verantwortlich gewesen sein.
Weitere Auskünfte -- "Aber bitte nur ohne Namen, sonst bekommen wir vielleicht Ärger" – gab es so: Kunden kämen nicht ins Geschäft, weil sie sich vor den lautstarken, torkelnden Stammgästen der Oasen fürchten, unverschlossene Hauseingänge würden zu Toiletten, weder die Schar der Sozialarbeiter noch den Ordnungsdienst habe man gesehen.
Vertreiben dürfte im übrigen keine Antwort sein. Die Herausforderung bleibt. Man finde keinen Raum für einen Anlaufpunkt der Szene, kein Vermieter mit Verantwortungsgefühl in Sicht, verkündet die Rathausführung. Bei so viel Hoffnungslosigkeit, bleiben Ironie und Sarkasmus: Da der robuste Ordnungsdienst Platzverweise erteilen kann, könnte die alte Rathaus-Polizeiwache samt Zellen am Ochsenmarkt eine Renaissance erleben. Wie wär's mit dem seit mehr als einem Jahrzehnt leerstehenden Ratskeller als Aufenthaltsort? Da könnten die Führungscrew des Rathauses und Politik ihren Bürgerdialog mit einem kritischen Gegenüber pflegen. Nein, eigentlich bleibt das Lachen im Hals stecken.
Die Oberbürgermeisterin hat es nicht einfach. Maulwürfe soll es in vertraulichen Sitzungen geben, böse. Wobei Maulwurf einen gezielt eingesetzten Spion meint. Das unterstellt sie demokratischen Parteien? In der Zeitung war gar von Verrat die Rede, fast so aufregend wie Agentenromane von John le Carré. Dabei geht es um politischen Alltag. Frau Kalisch sollte sich an das Heizungsgesetz ihres grünen Parteifreundes Robert Habeck erinnern – wurde einfach durchgestochen und berichtet.
Claudia Kalisch hat die SPD und deren Vertreterin ganz doll ausgeschimpft. Die OB unterstellt, die hätten womöglich alles durchgereicht an Lüneburg aktuell. Wo ist der Beweis? Jeder aus der Runde habe unterschrieben: „Ich bin keine Petze.“ Nur die Unterschrift der SPD fehlt. Die wurde nach eigener Aussage nicht gefragt und hat verstanden, dass das Ansinnen eine Unterwerfung bedeuten würde.
Der Rat erteilt der Verwaltung Aufträge und kontrolliert sie. Was für eine Anmaßung der Oberbürgermeisterin. Wo ist die Ratsvorsitzende geblieben, um der Oberbürgermeisterin ihre Grenzen zu setzen? Grüne Parteiverbindung? Es ging um die Wahl der Sozialdezernentin. Die hatte Ärger in Hamburg, hat bei einer Bewerbung in Minden nicht alles berichtet. Stand alles in Hamburger und Mindener Zeitungen -- und nun bei Lüneburg aktuell. Potztausend, das ist mies.
Wo das Geheimnis liegt, bleibt angesichts der Öffentlichkeit allerdings unklar, wenn man Google kennt. Die Fraktionschefs sollten naturgemäß ihrer Rolle ihre Fraktionen informieren, es sei denn, Victor Orban wäre ihr Vorbild. Wie können selbstbewusste und unabhängige Politiker das vergessen? Dass eine Oberbürgermeisterin die Hoheit des Rates und deren von den Bürgern gewählte Vertreter infrage stellt, zeugt von einem eigenwilligen Demokratieverständnis. Dann noch der Satz der gekränkten Claudia Kalisch, wer ihrer Vorgabe nicht gefolgt sei, habe im Rat nichts verloren nur seine Ehre. Mann o Mann. Ehre. Taschentücher für die Tränen!
Nun wehrt sich die SPD, fordert Entschuldigung, Stellungnahmen. Kommen die? Ich habe im Rathaus nachgefragt. Nein, die Oberbürgermeisterin sage nichts, es sei alles gesagt. Aha. Nimmt die SPD ihre Rolle wahr, tritt sie für die selbstverständlichen Rechte des Rates ein? Schalten die Sozis die Kommunalaufsicht ein? Lassen sie juristisch prüfen, was an Tatsachenbehauptungen aufgestellt und als Verleumdung gewertet werden könnte? Versuchen sie, das intransparente Verfahren formal zu durchleuchten?
Die Kommunalverfassung spricht von einer Auskunftspflicht. Haken die Sozis nach, wenn Frau OB mucksch ist? Die Grünen kennen den schmerzhaften Angriff, haben ihn in der Vergangenheit gern genutzt. Es liegt an der SPD, den Rat aus seinem selbstmitleidigen Dauerschlaf zu wecken -- es geht um das Grundverständnis von Politik und Demokratie. Wäre schön, wenn den Grünen, der CDU und der FDP das noch einfällt.
Die ehemalige Buchhandlung am Markt soll eins der Zentren der Verwaltung werden. Musste alles ganz schnell gehen. 2,2 Millionen Euro hat man im Oktober vergangenen Jahres laut einer vertraulichen Vorlage für den Verwaltungsausschuss für den Kauf veranschlagt. Da denkt man, der Kämmerer hat die Bauverwaltung eingebunden und verfügt über ein Konzept, nach dem Sanierung und Co schnell starten. Nee, frühestens 2026 könne man mit dem Bauen beginnen, schreibt die Verwaltung. Wann fängt man also an Hunderttausende an Mieten zu sparen, wie versprochen?
Nun hat die Stadt die Fenster irgendwie zugestellt und Bilder Lüneburger Künstler hingehängt. Das Bemühen ist zu sehen, Danke an die, die es zumindest versuchen. Doch es lenkt nicht davon ab, dass beinahe 50 Geschäfte in der Innenstadt leerstehen. Ein gutes Dutzend mehr als vor einem Jahr. Dafür kann die Oberbürgermeisterin nichts. Doch es wirkt nicht so, als ob sie und ihre Crew mit Ideen für Lüneburg werben. Übrigens ist gerade wieder einer aus ihrer Innenstadt-Belebungs-Truppe gegangen. Er soll ein deutlich besseres Angebot erhalten haben und einer Kollegin gefolgt sein, die sich nicht mehr im Rathaus wohlfühlte.
Damit sind wir wieder am Anfang. Stadtkonferenz. Drei gab es schon, ohne greifbare Ergebnisse. Zuversicht. Ich weiß nicht, die ist anderswo zu finden. Ich war gestern Nachmittag im Café Glockenhof. Ausstellung von Fotografien und Skulpturen, Lüneburger Gesichter. Klasse. Die Lüders- und die Sparkassen-Stiftung bespielen das Haus. Zusammen mit der Kulturbäckerei konnten die Macher vergangenes Jahr mehr als 100 000 Besucher begrüßen. Das von Lünebuch organisierte Krimifestival, der Kultursommer, jetzt eine Aktion der Händler rund um die Gelbe Leiter -- immer wieder sind es einzelne, die das Leben der Stadt bereichern.
Von denen, deren Aufgabe es wäre, hört man wenig. Was für eine Zukunft. Carlo Eggeling
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