Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

Selbstverständlich? Selbstverständlich!

von Carlo Eggeling am 11.03.2023



Meine Woche
Selbstverständlich?!

Die Polizei steht immer wieder in der Kritik, in Hamburg reagierte sie am Donnerstagabend mutig, schnell und lebensrettend. Acht Menschen starben bei einem Amoklauf; doch es wären sicher noch mehr gewesen, wenn die Beamten das Haus der Zeugen Jehovas nicht binnen Augenblicken gestürmt hätten und so weiteres Morden verhinderten. Einzugreifen ist die Arbeit von Polizisten, selbstverständlich, aber sie riskierten ihr Leben, um andere zu schützen.

Allerdings darf man gespannt sein, wie lange es dauert, bis kritische Geister etwas finden, was die Männer und Frauen nicht richtig gemacht haben, obwohl sie in Minuten entscheiden mussten, wie sie vorgehen. Im Nachhinein sind viele stets schlauer. Übrigens darunter einige, die in kritischen Situationen irgendwie nichts mitbekommen oder gerade etwas anderes zu tun haben.

Selbstverständlich muss im Nachgang geklärt werden, was möglicherweise im Vorfeld versäumt wurde und was besser werden kann. Was auch immer herauskommt: Mich haben die Bilder im Fernsehen und der Mut der Hamburger Polizisten sehr beeindruckt. Danke.

In diese Woche fiel der Internationale Frauentag. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Chancen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Na klar, aber nicht selbstverständlich. Zwei Filme haben mich in den vergangenen Tagen spüren lassen, warum öffentlich-rechtliches Fernsehen Gebühren verlangen darf. Gestern Abend Die Göttliche Ordnung. Die Geschichte eines Dorfes in der Schweiz, es ringt darum, dass im Land das Frauenwahlrecht eingeführt werden soll. Wird es dann. 1971. Es dauerte fast weitere zwei Jahrzehnte, bis es in allen Kantonen galt.

Abstimmen dürfen 1971 nur die Männer. Die müssen an ihren Frauen vorbei ins Wahllokal gehen, was für Blicke, was für Hoffnungen, was für eine Selbstverständlichkeit. Eine knappe Mehrheit votiert für das Stimmrecht. Aber wie lange mag es dauern, bis etwas Selbstverständliches in den Köpfen ankommt? Die Wucht ist im Alltag zu besichtigen: Die jungen Söhne und ihr Schwiegervater übernehmen, was sonst die Frau erledigte: Abwaschen und Abtrocknen. Die Mutter kann arbeiten gehen — ohne das Einverständnis ihres Mannes.

In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht 1918 eingeführt. Gleichberechtigung war damit noch lange nicht selbstverständlich. Der zweite Film heißt Die Unbeugsamen. Politikerinnen erzählen, wie sie im Bundestag belächelt wurden, wie sie sich gegen bornierte Partei"freunde" durchsetzten. Zu sehen sind Herta Däubler-Gmelin (SPD), Marie-Elisabeth Klee (CDU), Ursula Männle (CSU), Christa Nickels (Die Grünen), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Renate Schmidt (SPD) und Rita Süssmuth (CDU). Historische Aufnahmen zeigen zudem kluge Köpfe wie Aenne Brauksiepe (CDU), Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Waltraud Schoppe und Petra Kelly (Die Grünen).

Gelassen, witzig, klug, couragiert haben die Frauen in der Bonner Republik, egal welcher Partei sie angehören, für Selbstverständliches gekämpft. Es dauerte, bis aus "Kohls Mädchen" die Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde. Unfassbar Gerd Schröder, der es nach verlorener Wahl in einer Talkrunde immer noch für undenkbar hielt, dass eine Kanzlerin das Land regieren wird. Zu Frau Merkel mag jeder stehen, wie er will, aber mit ihr ist etwas Selbstverständliches eben selbstverständlich geworden.

Dann laufen gestern Abend Nachrichten im Fernsehen. Katholische Synodalversammlung. Es geht darum, ob Frauen geistliche Ämter ausüben dürfen. Im Jahr 2023.

Heute hat mich meine Enkeltochter besucht, sie wird bald sieben. Ich wünsche mir, dass sie genauso wenig wie ihr Bruder, der bald seinen dritten Geburtstag feiert, um Selbstverständliches kämpfen muss. Für ihr Leben, für ihren Beruf, in der Politik. Wenn sie will, selbst in der katholischen Kirche. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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