So ein Theater — Lüneburger Baustellen
von Carlo Eggeling am 02.09.2023Meine Woche
Vorhang auf
Wir leben in einer aufregenden Zeit. Heute haben wir gleich zwei Schauspiele. Immer etwas zu gucken gibt es am Glockenhof. Da hat die Stadt sieben Monate bauen lassen. Mit Dschingderassabum feierte die Stadtspitze eine Einweihung des Platzes, obwohl er noch eine Baustelle war. Aufgerissenes Pflaster. Das war dann zu mit der Perspektive: Im Juli, spätestens August sprudelt ein Wasserspiel. Jetzt schreiben wir September – und wieder eine Baustelle.
Aufgerissenes Pflaster, man erahnt einen Kasten aus dem Fontänen schießen sollen. Dauert wieder eineinhalb Monate. Was soll‘s, man sollte im Sinne der Life-Work-Balance niemanden hetzen. Die Baustelle als Theaterwerkstatt.
Wer da Geschäfte macht, oder eher nicht macht, hat zumindest eine Aussicht. Oder auch nicht. Eine Anliegerin sagt, habe ihr üppig wuchernde Büsche vor die Schaufenster gesetzt. Nächstes Jahr könne da keiner mehr reingucken. Und sie nicht mehr raus, was ja schlecht ist bei so einer Schauspiel-Baustelle. Gegenüber an einer Mauer sprießt es flach vor sich hin. Nee, tauschen könne man da nichts, hätten ihr die Bauleute erklärt. Es gebe einen Plan.
Immerhin. Dass nun weniger Grün als vorher vorhanden ist, dass man den Platz nicht aufgebrochen hat, obwohl das ja gegen überhitzte Städte helfen soll – das steht in einem anderen Plan. So viel Plan, da kann man schon mal durcheinanderkommen.
Plan und Theater, da sind wir am Robert-Stolz-Platz. Auf Lüneburgs prominentester Bühne geben sie das Stück Gutachten. Irgendwie ein Remake, an dem sich die Regisseure Landrat und Oberbürgermeisterin versuchen. Eigentlich war alles bekannt, aber Jens Böther und Claudia Kalisch führen das Stück "Alter Wein in neuen Schläuchen" auf.
Landkreis und Stadt sind Träger des Theaters. Die Crew um Intendant HaJo Fouquet erhält Zuschüsse von beiden, dazu Geld vom Land. Das zahlt eine feste Summe, Tarifsteigerungen stockt Hannover seit langem nicht auf. In der Kasse klimpert es zu dünne. Eigentlich brauchen sie rund eine Millionen Euro per anno mehr, um zu überleben. Das ist lange bekannt. Lösungen müssen her. Die Verwaltungschefs haben es hinbekommen, dass Gutachter Wege aufzeigen sollen.
Da sind wir bei unserer Farce "Alter Wein in neuen Schläuchen". Nach Monaten präsentiert das Gutachter-Team das verblüffende Ergebnis: "1) Verkleinerung des Orchesters um etwa ein Drittel 2) Abschaffung des gesamten Orchesters bei Beibehaltung eines Spielbetriebs in der Sparte Musiktheater 3) Komplette Schließung der Sparte Musiktheater." Und: „Einsparungen in relevanten Größenordnungen (können) nur über einen Personalabbau realisiert werden, da das Theater bereits jetzt äußerst kosteneffizient arbeitet".
Unsere in der Traumfabrik bewährten Regisseure hatten im vergangenen November eine Pressemitteilung verschickt: "Vor der Corona-Pandemie gehörte das Theater Lüneburg mit einer Auslastung von gut 85 Prozent zu den publikumsstärksten Häusern in Niedersachsen und konnte auch über Eintrittsgelder einen relevanten Eigenanteil zur Finanzierung leisten." Kommt Ihnen das bekannt vor?
Noch ein Gag. Wo kann man sparen? Hans-Martin Koch, einer der besten Kenner der Kulturszene, hatte im vergangenen November in der LZ so geantwortet: wenn man will, beim Orchester. Damals gut 30 Köpfe stark sei es einer der größten finanziellen Posten.
Applaus, oder? Wir sind beim selben Stand wie vorher. Allerdings kostet die Erkenntnis angeblich "eine Summe im hohen fünfstelligen Bereich", wie aus der Kulisse zu hören ist. Ob das Geld besser im Theater angelegt worden wäre? Unsere Regisseure können eine Fortsetzung planen: Ich denke, ein Gutachten wäre hilfreich.
Das Duo betreibt weiter, was das Publikum liebt, die Traumfabrikanten steigern die Spannung bis zum Weihnachtsmärchen. Eine Entscheidung jetzt? Nö nö. Abwarten, alles genau angucken, um im "vierten Quartal" zu diskutieren. Die Oberbürgermeisterin sagt: "Deshalb war es wichtig, mit Hilfe eines externen Beraters über den Tellerrand zu schauen und mögliche Szenarien prüfen zu lassen. Nun wünsche ich mir eine fundierte, inhaltliche Diskussion in den politischen Gremien, die die finanzielle, aber auch die kulturelle und gesellschaftliche Tragweite der zu treffenden Entscheidung in den Blick nimmt." Wie wär's mit einem Drehbuch?
Statt zu klatschen zeigen sich SPD und FDP als undankbare Zuschauer: Die Sozis fordern, das Ganze müsse Ende des Monats -- und dies sei eigentlich viel zu spät -- im Kulturausschuss auf den Tisch. Frank Soldan fragt für die liberalen Fraktionen in Stadtrat und Kreistag: "Was soll sich in den kommenden ein bis zwei Monaten tun? Die Theaterschaffenden -- genauso wie die Bevölkerung -- werden in der Luft hängen gelassen." Man könne eine andere Pointe präsentieren, befindet die städtische SPD-Fraktionsdoppelspitze Hiltrud Lotze und Uwe Nehring, sie fordert, was auch für Orchestersprecher Alexander Eissele auf der Hand liegt: "Ein Szenario fehlt gänzlich: Der Fortbestand des Orchesters in bisheriger Form!" Damit sind wir bei Shakespeare: Sein oder nicht sein? Will sich Lüneburg das Theater leisten oder nicht?
Wir haben eine Handvoll Abgeordnete aus der Region in Hannover sitzen, darunter eine grüne Ministerin und einen grünen Fraktionschef -- was tun die für Kulturlandschaft in Niedersachsen? Kein Interesse, zu wenig Einfluss, um den Zuschuss des Landes für jetzt und in Zukunft anzupassend? Vor derselben Herausforderung stehen auch andere Bühnen: Das Land unterhält drei Staatstheater in Hannover, Braunschweig und Oldenburg. Hannover fördert sechs Landesbühnen beziehungsweise kommunale Theater: die drei Stadttheater in Göttingen, Osnabrück und Lüneburg sowie das Schlosstheater Celle, das Theater für Niedersachsen mit Sitz in Hildesheim und die Landesbühne Niedersachsen Nord mit Sitz in Wilhelmshaven sowie außerdem das Göttinger Symphonieorchester.
Was soll's. 30 Millionen für die Arena, 100 Millionen für die Elbbrücke, wenn sie kommt, immer mehr Stellen im Rathaus. Das Geld ist knapp. Außerdem haben wir den Glockenhof. Da gibt es stets etwas zu gucken. Und wenn sich irgendjemand in der Politik mal fragen sollte, warum es so lange dauert, so ein Plätzchen zu backen, liegt eine Lösung nahe: ein Gutachten. Frei nach Bert Brecht: "Der Vorhang fällt, das Publikum schaut betroffen, am Ende alle Fragen offen." Carlo Eggeling
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