Lüneburg, am Montag den 04.08.2025

Solidarität — völlig irre

von Carlo Eggeling am 02.08.2025


Meine Woche
Links ganz rechtsaußen

Kann man so weit links sein, dass man am Ende Nazi ist? Auf mich wirkt es so. Bei aller Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza, wer das Existenzrecht Israels infrage stellt, stellt das Existenzrecht von Juden infrage. Auschwitz und damit der millionenfache Mord deutscher Täter gehörte zum Kern linker Selbstdefinition, dieser Kern zerbröselt offenbar bei einigen Genossen in ihrer grenzenlosen Solidarität mit Palästinensern. Wie anderswo spaltet ein Streit die linke Gemeinde der Stadt. Einigen ist das Ganze fast peinlich, selbst Leute, die sonst klar zu ihren Positionen stehen, bleiben dieses Mal namenlos.

Bundesweit agiert eine Gruppe, die intern Revo für Revolution abgekürzt wird. Lokale Anhänger dieser Gruppierung sollen im Frühjahr vergangenen Jahres Mitglieder der Antifa bedroht haben, in einem Fall angeblich mit einem Messer. Revo bestreitet das in einem Statement aus dem März 2024, dabei fällt unter anderem das Wort Antideutsche. Wer diesen Begriff für den politischen Gegner benutzt, umreißt seinen eigenen Standort. Antideutsche Positionen sind laut Wikipedia "Solidarität mit Israel sowie Gegnerschaft zu Antizionismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus.“

Ich war am Donnerstag auf der Gaza-Demo, bei der auch langjährige Lüneburger Genossen mit überwiegend arabischen Protestlern mitliefen. Es gab aus Gründen die behördlichen Auflage, keine Gesänge und Parolen wie "From the River to the sea" anzustimmen -- Israel gäbe es dann nicht mehr.

Ich habe mir von einem treuen Vertreter des sogenannten Friedensbündnisses erklären lassen, dass die Antifa unbelegt behaupte, dass es diese Bedrohungen gegeben habe. Ein Genosse glaubt dem anderen nicht, weil's nicht passt? Beide dürften sich ewig kennen. Wo leben wir?

Es geht soweit, dass die Partei Die Linke ihr Büro und die Gewerkschaften ihr Haus an der Heiligengeiststraße zu sicheren Räumen erklärt haben -- für Revo-Anhänger gilt ein Betretungsverbot. Es gibt von der Linken einen Unvereinbarkeitsbeschluss in Richtung Revo. Gleichzeitig spuken bei der Linken Akteure herum, die an Sekten erinnern. Einer sprach am Donnerstag. Das wissen manche in der Partei und nennen Namen von denen, die man scharf im Blick hat.

Die Fraktionschefin der Linken im Rat, Marianne Esders, hat der linken Tageszeitung taz gerade ein Interview gegeben, offensichtlich um sich und andere abzugrenzen: "Es gibt autoritäre Gruppen, die in der politischen Linken wirken – und die sich mittlerweile ganz offen antisemitisch äußern. Natürlich sehen diese Gruppen sich nicht unbedingt als antisemitisch, sondern bezeichnen sich als antizionistisch. Aus unserer Perspektive handelt es sich hier um Antisemitismus unter dem Deckmantel eines vorgeschobenen Antizionismus." Der Begriff geht auf Zion und den Tempelberg in Jerusalem zurück. Als politische Bewegung meinte er die Gründung eines jüdischen Staates. Dazu kam es auf britischem Mandatsgebiet -- als eine Folge auf dem Völkermord der Nazis an den Juden.

Eben dieses Wissen vermissen theoretisch gestählte Genossen bei Revo-Anhängern. Sich letztlich mit den Vertretern der Terrororganisation Hamas gemein zu machen, das gehe gar nicht. Man könne den 7. Oktober 2023 nicht ausblenden oder den systematischen Mord durch die Terroristen an jüdischen Kindern, Frauen und Männern ideologisch kleinreden. Es sei ein simples Bild, für alles Böse die USA und Israel verantwortlich zu machen, die Welt sei komplexer. Wer bei Marx und anderen Theoretikern liest, weiß das. Kapitalismuskritik geht tiefer.

Es besteht gleichwohl eine antisemitische Linie in der Linken. So als wollten Kinder, Enkel und Urenkel fortsetzen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland Alltag war: "Die Juden sind unser Unglück." Wenn wir bei Terror sind, darf das Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft 1972 nicht fehlen. Arabische Terroristen ermordeten elf der 14 israelischen Olympiateilnehmer, darunter fünf Athleten. Für die Mitgründerin der heute fast vergessenen Roten Armee Fraktion, Ulrike Meinhof, "eine zutiefst proletarische Aktion". Es gab zudem Anschläge auf jüdische Gemeindezentren von deutschen Linksterroristen oder 1976 die Entführung eines französischen Flugzeugs nach Entebbe in Uganda, bei der deutsche und palästinensische Terroristen unter den Fluggästen Juden "selektierten", die sie erschießen wollten.

Dass sich Juden in Deutschland bedroht fühlen -- noch immer -- ist schrecklich. Nicht nur von deutschen Nazis, sondern eben auch von arabisch geprägten Menschen in unserem Land. Warum müssen vor Synagogen und jüdischen Schulen Polizisten Wache stehen? Vor Schulen? Die Verantwortung, die sich aus Auschwitz ergibt, verblasst trotz aller Bekenntnisse und Gedenktage.

Selbstverständlich ist es furchtbar, wie die israelische Armee vorgeht, doch wer spricht von der Hamas und den Geiseln, die sie festhält? Darunter sechs deutsche Juden, wie ich gelesen habe. Wer spricht davon, dass palästinensische Terroristen sich in Gaza in Krankenhäusern und Schulen versteckten und die eigenen Leute als Schutzschilder nahmen?

Das Wort Genozid wird gern gebraucht. Passt das? Lässt die Regierung in Tel Aviv systematisch morden? Auschwitz und all die anderen Lager. Der NS-Staat machte in Deutschland und Europa Jagd, um Menschen in Lager zu stecken, zu vergasen, zu erschießen, totzuprügeln, verhungern zu lassen. In deutschen Lagern saßen Juden, Bibelforscher, Christen, Schwule, Zigeuner, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten.

Lüneburg. Die Polizei weiß wohl wenig darüber, was im linken Milieu passiert. Zur Polizei gehe man nicht, so das Selbstverständnis. Auf der Hude heißt es: Ein paar Sachbeschädigungen kenne man, Parolen, Aufkleber. "Wir ermitteln." Die Bedrohungen gar mit einem Messer scheinen dem politischen Staatsschutz zumindest nicht von Betroffenen bekannt zu sein.

Bleiben die Genossen. Antifa. Die kann man sehr kritisch sehen. Aber es sind die, die uns sagen, wo alte und neue Nazis in den Dörfern in der Region leben und hetzen. Also von Antifaschisten, die – völlig irre – als "antideutsch" bezeichnet werden, habe ich gehört, sie hätten mit arabischen Genossen gesprochen, um die Lage zu klären.

Es gibt unter denen viele, die den 7. Oktober als das sehen, was es ist: ein mörderischer antisemitischer Überfall. Mit Terroristen macht man sich nicht gemein. Antifaschisten vergessen Auschwitz nicht. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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