Sturm auf den Fußballplatz
von Carlo Eggeling am 24.10.2024Die Fußballfans wollen Krawall, Pyros brennen, die Luft ein Brüllen, sie rennen los -- Attacke gegen die Polizisten, die am Eingangstor des Stadions stehen, in Schutzkleidung, mit Helmen, Schlagstöcken. Szenen, die der Fußballplatz in Neetze eigentlich nicht erlebt. Doch an diesem Donnerstagvormittag wird die Wiese hinter dem gepflegten Grün zur Bühne: Zwei Dutzend neue Bereitschaftspolizisten und ihre Kollegen proben für den Ernstfall. Unter rustikalen Bedingungen: "Störer" gehen auf die Beamten los oder prügeln sich als rivalisiernde Fans, Sturm auf den Eingang. Handfest. Aggressiv.
Lutz Seyda, stellvertretender Chef der Lüneburger Bereitschaftspolizei beobachtet mit seinem Führungsteam, wie sich die "Neuen" schlagen -- im Wortsinn. In den vergangenen drei Wochen haben sie immer wieder durchgespielt, wie sie einen Krakeeler aus einer aufgebrachten Menge holen, wie sie zupacken, aber auch beruhigend auf pöbelnde Widersacher einzureden und dabei zugleich Grenzen zu setzen.
Bereitschaftspolizei bedeutet alle paar Monate Wechsel. Damit leben Seyda und die Stammcrew. Die meisten bleiben ein, zwei Jahre, bis sie innerhalb der Polizeidirektion mit ihren acht Landkreisen an eine Dienststelle wechseln. Die jungen Beamten kommen direkt von der Polizeiakademie, tauchen ein in die Praxis. Fußballspiele, Demos, Konzerte stehen für die 4. Hundertschaft an, aber auch Unterstützen bei lokalen Dienststellen, wenn es um Durchsuchungen, Drogen- und Verkehrskontrollen geht.
Maurice Naouar ist einer der neuen Beamten, die Anfang Oktober kamen. "Die drei Wochen waren körperlich anstrengend, auch wenn wir vorbereitet sind", sagt der Mann mit französischen Wurzeln. Ihre Ausrüstung wiegt zwischen 15 und 20 Kilo -- ein Dauerlauf, aber auch ein Sprint unter "Volllast" gehört dazu. Mit Kollegen probt der 24-Jährige Festnahmen, Eingreifen bei Schlägereien, die bei der Polizei Widerstandshandlungen heißen. Fitness und Training seien wichtig, sie gäben Sicherheit.
Der Körper ist das eine, die Psyche das andere. Eine Balance zwischen Vorsicht, Eigensicherung und dem Blick, dass nicht jedes Gegenüber gefährlich ist. Freundliche Ansprache. Menschliches Miteinander. Seyda beschreibt es: Bei Demonstrationen könne man mit den Organisatoren Absprachen treffen, eben um Eskalationen zu vermeiden. Wenn die Beamten bei einer Blockade Frauen und Männer wegtragen, geht es oftmals um symbolische Bilder. Die Niedersachsen hätten den Ruf, sozusagen angemessen zuzupacken. Wer sich nicht über Gebühr sperrt, macht es beiden Seiten leichter.
Niedersachsen -- das mag an Hans Reime liegen, der ehemaligen Lüneburger Direktor der Polizei, heute heißt der Posten Polizeipräsident, setzte vor gut zwei Jahrzehnten bei den Castor-Einsätzen im Wendland auf Deeskalation, installierte das Konzept der "Konfliktmanager" bei der Polizei, Ansprechpartner für Bürger, die ihr Recht auf Protest wahrnahmen.
Wichtig ist die Gemeinschaft, wer als Gruppe in riskante Situationen geht, braucht Vertrauen in die anderen. Dana Kassens, auch eine von den Neuen, sagt: "Wir kennen uns von der Akademie, das ist eine gute Verbindung." In der Bepo müssen sie mit den anderen zusammenwachsen. Sie sind lange zusammen, immer wieder. Bombenräumung in Göttingen, lange Fahrt, Stunden absichern, da ist keine Heimfahrt drin, Übernachten in einer Unterkunft. Gleiches galt bei der Sicherheitskonferenz in München, bei zig Fußballspielen.
Die Ausbildung hat sich verändert, weil die Welt sich ändert. Terrorgefahr. Nicht nur Spezialeinheiten sind da gefordert, die schnelle Truppe kann schnell in so eine Lage geraten. Terror ist im Alltag angekommen, ein Volksfest kann plötzlich zum tödlichen Tatort werden.
"Darauf haben wir reagiert", sagt Seyda. Bessere Westen, Helme schusssicher, aber auch mental bereiten sie die Kollegen auf andere Lagen vor als vor ein paar Jahren. "Es gibt keine 100prozentige Sicherheit, aber wir tun alles, um es sicherer zu machen." Die globale Welt spiegelt sich im Lokalen: Der Krieg im Gazastreifen und im Libanon lässt Demonstranten in Deutschland protestieren. Anschläge in der Türkei, da könne es sein, dass unterschiedliche Gruppen am Wochenende ihre Meinung auf die Straße bringen wollen. Der Hauptkommissar mit den vier silbernen Sternen auf den Schultern zuckt die Schultern -- es ist, wie es ist, nämlich selbstverständlich: Polizei sichert ein Grundrecht: unterschiedliche Meinungen kundzutun.
Von dem Grundrecht halten manche nicht so viel. Die Lüneburger begleiteten neulich den Christopher Street Day in Halle, ein buntes Treffen derer, die anders lieben und leben. "Das ist eigentlich bunt und friedlich." Aber nicht, wenn rechte Schläger meinen, queeres Leben passe weder zur Saale-Stadt noch in die Welt. Die Beamten gingen dazwischen.
Egal, was es ist, die Hundertschaft ist regelmäßig an Wochenenden gefordert, nur ein "planbares Wochenende" im Monat wissen sie, jetzt übernehmen die Kollegen beispielsweise aus Hannover. Frei. Es klingt anstrengend, gefährlich und nach viel Langeweile, wenn man nur rumsteht und nichts passiert, gleich ob Sonne oder Regen. Warum tut man sich das an? Dana Kassens lacht, die 28-Jährige sagt: "Bei uns ist kein Tag wie der andere." Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen Szenen der Übung und die Beamten Dana Kassens und Maurice Naouar, die neu bei der Bepo sind.
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