Tage mit noch mehr Wundern
von Carlo Eggeling am 21.06.2025Meine Woche
Wunder(n)
Ein Wunder ist so eine Sache, wundern hingegen geht einfacher. "Wunder erleben nur diejenigen, die an Wunder glauben", glaubte der Schriftsteller Erich Kästner. Ich glaube, was ich am Donnerstag in Adendorf erlebt habe, war ein Wunder. Als ich zum Unfall an der Artlenburger Landstraße kam, habe nicht gedacht, dass jemand das überlebt. Ein Lkw hatte einen Kleinwagen unter einen anderen Laster geschoben. Drei Menschen saßen darin, am Leben.
Das ist ein Teil des Wunders, den anderen erledigen Feuerwehr und Rettungsdienst. Mit Druckkissen heben die Männer und Frauen den Laster an, Kameraden schneiden das Wrack auseinander. Ärzte und Sanis sind eng an den Verletzten mit Schmerzmitteln und sorgenden Händen. Viele von denen, die hier anpacken, machen das ehrenamtlich. Ein großes Glück. Danke und Respekt.
Gewundert habe ich mich beim Stadtfest. Da packt man Feuerwehr und Rettungsdienst Hindernisse in den Weg. Um alles sicherer zu machen. Einsatz am Glockenhaus. Ein Transporter steht Am Berge quer, der Fahrer der Drehleiter kam nicht nach links um die Ecke in die Glockenstraße. Kein Fahrer für den Kastenwagen in Sicht. Nach zwanzig Minuten kommt ein Schausteller, er erzählt, dass er und seine Kollegen auf Bitte der Organisatoren Autos als Sperren gegen Attentate platziert haben.
Vertreter von Ordnungsamt und Lüneburg Marketing erklären vor Ort, alles sei organisiert. Helfer wüssten Bescheid, die Transporter würden zügig weggefahren. Wer nicht Bescheid wusste, waren Geschäftsleute am Berge, wie eine Nachfrage in einem halben Dutzend Läden ergab. Die Feuerwehr kannte das Sicherheitskonzept offenbar nicht, heißt es intern. Kollegen im Rettungsdienst waren augenscheinlich bis heute Mittag ahnungslos. Zweimal seien Blaulichtautos hängen geblieben, berichten Anlieger: "Die wussten nichts von der Sperre."
Wieder ein Wunder. Denn glücklicherweise war es am Glockenhaus nicht nötig, dass die Feuerwehr eingriff. Ansonsten wäre wohl die halbe Hütte abgefackelt. Es wundern sich einige über die unbesetzten Wagen mitten in der Stadt. Sieht chaotisch aus, und endet im Ernstfall chaotisch, bei Herzinfarkten geht es um Minuten.
Das Sicherheitskonzept habe man bewusst geheim gehalten. Eine wundergläubige Idee, jeder Attentäter geht angesichts dieser überraschenden Maßnahme bedröppelt nach Hause. Er weiß: keine Chance. Selbst wenn er ein Messer oder eine Pistole dabei hat. Ach ja, mal am Hamburger Dom nachfragen, der auf Riegel-Transporter setzt: Da sitzt einer drin, um im Fall der Fälle die Blaulicht-Fraktion durchzulassen oder sozusagen den Korken aus dem Flaschenhals zu ziehen, wenn viele Menschen flüchten.
Wunder dürften sich scheinbar in der Finanzabteilung des Rathauses abspielen. Bekanntlich hat die die Stadt das ehemalige Lünebuch-Haus am Markt für 2,2 Millionen Euro gekauft. Es soll nach Schätzungen für sechs bis gut acht Millionen Euro umgebaut werden, damit Verwaltung einziehen kann, andere angemietete Büros bräuchte man nicht mehr. Binnen zehn Jahren könne Lüneburg so 8,7 Millionen Euro einsparen. Da die Stadt einen Haushalt besitzt, der düsterer ausschaut als eine mondlose Nacht in einem U-Bahnschacht, könnte man denken, so wie jeder Investor würde das Rathaus ruck zuck loslegen, das Gebäude zu nutzen, um Mieten und Zinsen für geliehenes Geld zu sparen.
Die Rechenexperten machen es anders. Das Theater zieht demnächst für ein Jahr ein, bringt Kultur in die Stadt. Das ist bestimmt toll. Schauspiel ist stets Illusion, kein Wunder, dass fast der gesamte Stadtrat jubelt, weil die Salzstadt so beweist, dass anders als Heinrich Heine vor zwei Jahrhunderten spottete, kein Kulturableiter am Rathaus hängt. Dafür nicht nur Illusionisten am Robert-Stolz-Platz, sondern genauso am kommunalen Abakus. Wenn das Haus zwei Jahre, wahrscheinlich länger, nicht umgebaut wird, können zweimal 870 000 Euro nicht gespart werden. Macht 1,74 Millionen. Plus Zinsen wohl reichlich 1,8 Millionen.
Das Theater ist für weitere Wunder gut. Nachdem die Kulturausschüsse von Stadt und Kreis beschlossen haben, in den kommenden drei Jahren das stetige Minus des Musen-Hauses mangels ausreichender Landesförderung auszugleichen, hieß es am Donnerstagabend im Stadtrat "Bühne frei" für eine Inszenierung. Damit folgt die Politik einem Gutachten, das empfiehlt, aus 29 Musikanten 19 zu machen. Illusionen treffen auf Wirklichkeit, lediglich zwei, drei Noten-Könner könne man in absehbarer Zeit in Rente schicken. Pro Stelle soll das durchschnittlich 70 000 Euro ausmachen.
Mal abgesehen davon, dass die Künstler oftmals an der Musikschule unterrichten und nicht nur bei den schwächelnden abbaufähigen Opern und Operetten musizieren, fragt sich mutmaßlich lediglich der Kulturbanause, ob man künftig beispielsweise auf Geige oder Percussion verzichten kann. Kann wunderlich experimentell klingen, wenn eine klangliche Lücke entsteht. Ansonsten kennen wir Wunder: Ich habe Straßenmusikanten gesehen mit Gitarre in den Händen, Trommel auf dem Rücken, Schellen an den Beinen und einer Mundharmonika.
Es kamen zwar kaum Besucher, doch die Stadtkonferenz war aus Sicht der Verwaltungsspitze ein wundervoller Erfolg. Also holte sie Referenten Boris Hedde, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln (IFH), noch einmal, im Rat erklärte er erneut, dass Lüneburg klasse sei. Die Mitteilung der Stadt dazu: "Der Handel ist nach wie vor der Hauptgrund für einen Besuch in der Innenstadt. 61 Prozent der Befragten, die auch mehrere Gründe nennen konnten, kommen zum Einkaufen. Mit 40 Prozent folgt auf Rang 2 das gastronomische Angebot. Dahinter liegen relativ gleichauf Sightseeing, Dienstleistungen wie Friseure oder Banken, die Wege zu Behörden, Arztpraxen, oder Arbeitsplatz sowie das Freizeit- und Kulturangebot mit jeweils 14 bis 20 Prozent."
Oh Wunder, danach hat Lüneburg kaum ein Problem. 30, 40 und nun rund 50 leere Geschäfte? Andere seien schlimmer dran. Interessant die Aussage der Hedde-Studie: „Parkmöglichkeiten spielen als Erfolgsfaktor keine Rolle.“ Nur Kleingeister sehen einen wundersamen Widerspruch in der zunächst beschriebenen magnetischen Wirkung und der Aussage, Parkmöglichkeiten seien den Menschen schnurz.
Es empfiehlt sich, so glücklich in die Welt zu schauen, wie Herr Hedde und Verwaltung. Dann könnte man sagen: Parken ist tatsächlich kein Problem, weil die Parkhäuser jede Menge Leerstand aufzeigen. Ob das daran liegt, dass weniger Kunden kommen und daher Geschäfte leerstehen?
Die zuständige Stabsstelle im Rathaus sei dran, wolle die Innenstadt noch attraktiver machen. Wir bleiben dran und ruhen uns nicht aus, verspricht die Oberbürgermeisterin. Erich Kästner bietet sich ein weiteres Mal an: "Wunder erleben nur diejenigen, die an Wunder glauben." Also weniger wundern, mehr glauben. Sonniges Wochenende. Carlo Eggeling
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