Lüneburg, am Mittwoch den 24.04.2024

Überlastet? Kollegen im Rettungsdienst klagen

von Carlo Eggeling am 21.01.2023


Statistisch betrachtet ist alles in Ordnung. Gefühlt ist es anders, nämlich ziemlich schlimm. Im Rettungsdienst herrscht großer Unmut, nachdem mit dem Jahreswechsel nachts ein Rettungswagen weniger in der Stadt einsatzbereit ist, zwei statt drei. ASB und DRK zeichnen im Auftrag des Landkreises für die schnelle Hilfe und Stadt und Kreis verantwortlich. Aus beiden Organisationen haben sich bei mir insgesamt ein halbes Dutzend Mitarbeiter gemeldet, der Tenor ist ähnlich: Wir haben reichlich zu tun, die Belastung steigt. Aus dem Kreishaus hingegen kommt eine andere Bewertung. Sprecherin Marion Junker sagt: "Es ist bislang bei zwei bis vier Einsätzen in der Nacht geblieben, einmal hatten wir fünf. Gleichwohl nehmen wir die Kritik ernst und beobachten die Entwicklung." Wenn nötig, reagiere man.

Der Landkreis verhandelt mit den Krankenkassen darüber, wie der Rettungsdienst aufgestellt sein muss. Grundlage dafür ist ein Gutachten. Während Kritiker sagen, die Expertise zeichne die Wirklichkeit nicht ab, heißt es von den Verantwortlichen, die Zahlen sprächen eine klare Sprache. Zudem seien Wachen verstärkt, der Krankentransport mit mehr Stunden bedacht worden. In Zahlen liest sich das laut Landkreis so: "Insgesamte Erhöhung der Notfallvorhaltung von 1.460 auf 1.524 Wochenstunden, Erhöhung der Krankentransportvorhaltung von 403 auf 520 Wochenstunden."

Allerdings monieren die Besatzungen der Rettungswagen, dass die Zahlen allein wenig aussagen: Es gebe komplizierte Fahrten, wenn Patienten etwa nach Hamburg verlegt und dabei beatmet werden, die Wartezeit an an den Aufnahmen der Kliniken sei gestiegen, weil die Krankenhäuser überlastet seien, die Reinigung der Fahrzeuge sei aufwendig. Die Reduzierung von drei auf zwei Fahrzeuge in der Nacht bedeute eine stärkere Belastung. Alle wollen nicht namentlich erwähnt werden, weil sie Sorge vor Konsequenzen haben.

Es gibt eine weitere Entwicklung: Öfter geht es -- gefühlt -- mit Blaulicht zu Patienten, die keine wirklichen Notfälle seien. Auch in der Leitstelle berichten Mitarbeiter unter der Hand, dass Anrufer nach einem Krankenwagen verlangen: Es sei dort nicht immer einzuschätzen, ob sich hinter furchtbarem Bauchweh eine Magenverstimmung oder etwas Dramatisches verbirgt. Zudem seien anders als vor langen Jahren weniger Ärzte bereit, Hausbesuche zu machen, weil ihre Praxen überlaufen.

Harald Kreft, Geschäftsführer des ASB, verweist darauf, dass die Gutachter alle Daten "hochwissenschaftlich ausgewertet haben, der Landkreis beobachtet die Entwicklung weiterhin". Laut Rettungsdienstgesetz müsse man Sicherheit, aber auch Wirtschaftlichkeit bei den Planungen im Blick haben. Gleichwohl sehe man die Herausforderungen und versuche zu reagieren, um "familienfreundlicher" zu arbeiten.

Sein Kollege Joachim Elspaß vom Roten Kreuz argumentiert ähnlich, sagt aber auch: "Die Belastung der Mitarbeiter ist hoch, an welchen Stellschrauben können wir drehen, um darauf zu reagieren?" Wichtig sei es, die Daten regelmäßig zu analysieren, um entsprechend mitarbeiterfreundlich zu agieren. Dafür bräuchte es mehr Personal, ist er sich mit Kreft einig, doch das sei kaum zu bekommen.

Ein Kollege beschreibt seine Situation so: "Es häufen sich die Überstunden, weil aufgrund hoher Krankenstände Mitarbeiter an ihren freien Tagen vom Chef angerufen werden, ob sie nicht kurzfristig arbeiten könnten. Man appelliert an unser Gewissen, bietet großzügig eine Extravergütung an. Mitarbeiter die schon auf dem Zahnfleisch gehen, sagen zu. Das geht tatsächlich nur in den Wochen, wo man denn keine 60 Stundenwoche hat. Hinzu kommt die geringe Wertschätzung des Arbeitgebers. Kollegen kündigen, versuchen, bei der Bundeswehr oder in ihren früheren Berufen unterzukommen. Schulterzucken bei den Vorgesetzten. Das alles führt zu einer riesigen Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft."

Es erinnert an Klagen, die aus Krankenhäusern, Altenheimen und von Pflegediensten zu hören sind -- das Gesundheitswesen funkt SOS. Auch wenn sich Deutschland eins der teuersten Gesundheitssysteme der Welt leistet, scheint eben dieses System oftmals derart malade, als müsse es selber auf die Intensivstation.

Noch einmal eine Stimme aus dem Rettungsdienst: "Die Krankenkassen wollen keine höheren Löhne zahlen, geschweige denn, zusätzliche Personalstellen finanzieren. In erster Linie wollen sie Gelder streichen, Kosten sparen. So lauten jedenfalls die Aussagen der Chefs." Allerdings müssen die Kassen darauf achten, dass ihnen die Kosten nicht davonlaufen -- im Sinne der Beitragszahler, also aller.

Wie es weitergeht? Bleibt offen. Nicht gut für die Patienten. Die Einschätzung aus der Praxis: "Es ist eine Misere, weil die verbliebenen Kollegen der kleinen Rettergemeinde völlig überfordert werden. Die, die noch da sind, werden bald wegen 'Burnout' ausfallen." Ob es so kommt lässt sich dann auch ablesen. In einem Gutachten. Carlo Eggeling

© Fotos: ca / Symbolfoto


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