Verkehrter Verkehr
von Carlo Eggeling am 14.09.2024Meine Woche
Heiter weiter
Ein paar Tage in der Pfalz, Urlaub und Job. Ein Blick in die „Rheinpfalz“, und es ist klar, Lüneburg ist überall, dieselben Themen. Verkehr, Altenheime, die geschlossen werden, weil zu teuer selbst für die Kirche; Zuwanderung. Selbstverliebte Stadtoberhäupter, die Fotos lieben. Also von sich.
Interessant: Der CDU-Bürgermeister übernimmt das Verkehrsressort, um den Dezernenten, einen Grünen, zu „schützen“. Der Grüne scheint in der 45 000-Einwohnerstadt Landau etwas zu verändern, Busse fahren am Wochenende bis in die Nacht, um Randgemeinden anzubinden und eine Alternative zu Promille-Fahrten zu bieten. Der unvermeidliche ADFC lobt ein rotes Farbspiel auf dem Asphalt, das muss sein für Speichen-Aktivisten, wobei ich den Eindruck habe, die Radler hier sind gnädiger bei den Breiten als Lüneburger Zentimetermaß-Strampler. Mag täuschen.
Klar, gibt es Streit um Parkplätze, die Stadt streicht, der Protest ist da. Der Handel fühlt sich abgehängt, Anwohner wissen nicht, wo sie ihren Wagen lassen sollen. Deutsche, gleich welcher Façon, scheint Selbstgewissheit zu einen: Untergang so oder so, die einen meinen, wegen CO2 und des Klimas, die anderen beschwören das Ende jeglicher Bewegungsfreiheit. All das vor dem Hintergrund steigender Zulassungszahlen.
Selbst in meinem Urlaubsdorf mit ein paar mehr als 500 Seelen kämpfen die Menschen: Was Jahrzehnte locker lief, ist nun mit Markierungen geregelt, Parken muss eine Ordnung haben. Allerdings, erzählt mir mein Wirt, stehen nicht nur Gäste der Winzer und Wirtschaften auf den Straßen, sondern vor allem die Einheimischen mit ihren Karossen, weil die Familien zwei und drei Autos dazu Anhänger besitzen, die sie nicht mehr auf ihren Grundstücken unterbringen wollen oder können.
Anspruch und Wirklichkeit -- eine gewisse Diskrepanz. Deshalb wird es bestimmt ein Heidenspaß, wenn sich die Lüneburger Radler-Fraktion durchsetzt, mit dem Ansatz, den vier Spuren der Schießgrabenstraße zwei abzuknapsen für Pedalos. Stau morgens und abends, dann nicht mehr bis zur Uni und Adendorf, sondern bis Melbeck und Brietlingen. Aber wahrscheinlich schaffen alle ihre Autos ab und kommen mit dem Lastenrad.
Freiheit, Marxisten und Hegel-Fans wissen das, Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Deshalb werden die Umlandgemeinden auch einsehen, dass es eine Ersatztrasse braucht für die Ostumgehung, denn die Schießgrabenstraße gilt aktuell als Not- und Umgehungsfahrbahn, wenn die Schnellstraße etwa durch einen Unfall blockiert ist.
In dem Zusammenhang muss ich Abbitte leisten bei den Demonstranten, die so gern die Ostumgehung mit einem Fahrradkorso blockieren. Da ist meist ein belächelter Mann aus Wolfsburg dabei, der die Meinung vertritt, VW möge Straßenbahnen bauen, Autos seien so etwas von aus der Zeit gefallen. Weltklima und so. Da wäre die Tram, weltweit exportiert, als solche von selbstbestimmten Arbeitern eine antikapitalistische Alternative. Vielleicht kann die Linie über die Ostumgehung führen, als Alternative. Egal.
Der Mann ist Visionär. Denn der offenbar angeschlagene Autokonzern überlegt, Werke zu schließen, da er weniger Autos verkauft. Warum klagen Politik, Betriebsrat, IG Metall und Wirtschaft darüber? Es ist doch beinahe Staatsraison, Zulassungszahlen zu senken. Straßenbahnen, so würde es gehen. Ganz sicher.
Ach ja, auch das muss gesagt werden, wer jetzt kein E-Auto kauft, weil der Staat die Zuschüsse streicht, ist ein Verräter der guten Sache. Geld statt Gewissen, wie kann man sich so marktwirtschaftlich verhalten? Denken wir an Mutter Courage: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Aber Brecht ist ein Widerspruch in sich.
Landau oder Lüneburg, sie sind überall. Im Süden wirken sie etwas heiterer. Das mag an der Nähe zum Elsass liegen, Savoir vivre, man scheint das Leben leichter zu nehmen.
Wer all das gemein findet, ich weiß, dass es welche gibt, mag Trost finden in einem Satz des Kabarettisten Werner Schneyder, den ich in der „Süddeutschen“ gefunden habe, sinngemäß: Satire ist nicht der Feind der heilen Welt, sondern die Forderung danach. Bloß ist die Welt halt für jeden anders. Carlo Eggeling
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