Verschieben wir den Weltuntergang
von Carlo Eggeling am 18.07.2025Ausgegrenzt zu werden, kennt wohl jeder. Die Einladung zur Party blieb aus, bei der Wahl zur Fußballmannschaft in der Schule gehörte man nicht dazu, beim Bewerbungsverfahren schickte die Firma nicht einmal eine Absage. Alltag. Wer weiterdenkt, kann zu einer existenziellen Frage kommen. Im Jahr 2035 hat die Menschheit die Erde so zerstört, dass der Planet unbewohnbar ist. Eine Elite darf auf den Mars, um dort das Überleben der Menschheit zu gewährleisten. Doch wer gehört dazu? Die Firma Space Ass, übersetzt etwa Weltraum-Arsch, entscheidet, wer in ihre Shuttles einsteigen darf -- Grundlage des Stücks "Arsch macht mobil", das kürzlich im Theater in Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderungen gezeigt wurde. Ein Erfolg, den die Gruppe gern fortsetzen möchte. Ihr Traum: eine Tournee auf einem Schiff, eben eine Reise wie an Bord eines Raumschiffs.
Die Schauspieler besuchten die Euthanasie-Gedenkstätte in der Psychiatrischen Klinik. Tödliche Ausgrenzung: Im Nationalsozialismus galten Menschen mit Beeinträchtigungen als nicht lebenswert. Viele wurden ermordet. Die Reise zum Mars wäre vergleichbar: Wer nicht einem Ideal entspricht, müsste auf der sterbenden Erde bleiben. Wer legt das Ideal fest?
Nachbesprechung. Von der Lebenshilfe sind Spieler gekommen. Robin Thieler erzählt, dass er Autist ist: "In der Schule mussten sie auf mich warten, ich war zu langsam. Ich wollte das nicht und habe mich zurückgezogen." Langsam bedeutet nicht dumm, Thieler hat studiert. Leonie Boelicke kennt Mobbing aus der Schule, die Akademikerin war nicht zu langsam, im Gegenteil, sie ist hochbegabt, war schneller und fantasievoller als andere. Silke Reischauer freut sich, in eine Rolle zu schlüpfen. Ähnlich geht es Christian Lemke, der als "Rausschmeißer Macht gespielt hat".
Sie erzählen begeistert, wie sie mit den anderen improvisiert und das Stück entwickelt haben. So geht es auch Spielerin Barbara Petersen, die es reizte, mit Menschen Theater zu machen, mit denen sie sonst kaum Kontakt habe. Und: "Die anderen von der Lebenshilfe haben uns viel voraus." Dort gebe es eine Theatergruppe: "Wir sind Laien. Ich bin aus Neugier dazugekommen, es hat Spaß gemacht."
Neben Spaß geht es um eine Botschaft. Die hat mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, die es selbstverständlicher bis nötig findet, am Sozialen zu sparen, sind sich Regisseur Jan-Philip Walter Heinzel und Stefan Schliephake, Theaterpädagoge bei der Lebenshilfe, einig. Heinzel macht eine "Rauhheit der Sprache" aus: "Meine große Sorge ist, dass Kultur durch Panzer ersetzt wird." Es drohe, ein lang gelebter Ansatz könne verlorengehen, ergänzt Schliephake: "Die Verfasstheit, alle mitzunehmen."
Die UN-Menschenrechtskonvention gehe von Inklusion aus, betonen die beiden. Inklusion ist das große Anliegen, das meint, alle Menschen, unabhängig von individuellen Merkmalen wie Behinderung, Herkunft, Geschlecht oder Alter, können gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Gemeinsam Theater zu spielen ist bereits eine Herausforderung. Die Arbeitszeiten bei der Lebenshilfe sind andere als die von Schauspielern. Sie schlossen Kompromisse, bei der Lebenshilfe, in deren Werkstätten die meisten Spieler mit Beeinträchtigungen arbeiten, wurden die Kollegen freigestellt. Am Theater schneiderten sie passende Kostüme, schufen ein Bühnenbild -- in Absprache. Proben sind nicht alles, gemeinsames Essen gehört dazu, um gemeinsam Ideen zu entwickeln.
Das Stück lief im Labortheater T3. Das erlebte Inklusion. Heinzel schildert es so: Bislang nahm das Publikum rechts und links eines Ganges Platz, der zur Bühne lief. Bei ihrer Arbeit hätten sie festgestellt, dass es Zuschauer gebe, die beispielsweise ein Stück nicht aushielten. Sie wollten raus -- und hätten vor den Augen der anderen gehen oder mit dem Rollstuhl fahren müssen. Das sei für manchen peinlich. Nun gebe es Gänge an den Seiten des Saales. Das mache es einfacher -- so solle es bleiben.
Theater ist immer auch Utopie. "Wir haben die Kunst, um nicht am Zweckmäßigen zugrunde zu gehen", wissen die Theaterleute. In der aktuellen Diskussion gehe es oft darum, zu retten, was zu retten ist. "Zu wenig", finden sie hier. Heinzel sagt: "Behalten reicht nicht, wir wollen mehr."
Auf "Pseudo-Optimierer" wollen sie hier nicht hereinfallen. Es sei keine Lösung, sich darauf vorzubereiten, die Welt zu verlassen, um per Anhalter durch die Galaxis zu reisen. Der Mars wäre nach der Devise auch irgendwann Murks. Es gelte, hier und heute zu verändern, um die Welt weiter lebenswert zu machen. Mit allen, die schon jetzt da sind, so unterschiedlich sie sind.
Die Utopie, eigentlich die Vernunft, habe sich bei den Vorstellungen auf das Publikum übertragen, glauben alle, die gekommen sind. Deshalb wollen sie gerne wieder und öfter spielen, auch wenn zwei ihrer Mitstreiter, Studenten, umgezogen sind. Es müsse eine Lösung geben. Dann könnte es mit einem Schiff auf Reisen gehen. Kein Raumschiff, sondern eins, welches ihre Botschaft durchs Land trägt. Ganz irdisch. Carlo Eggeling
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