Lüneburg, am Dienstag den 27.05.2025

Viel Aufregung, wenig Tun

von Carlo Eggeling am 21.09.2024


Meine Woche
Gefährlich?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich bin jedes Mal aufs neue erstaunt, dass ich aus der Stadt nach Hause komme, ohne überfallen, beklaut oder verprügelt worden zu sein. Zeitungen und Laut-Kanäle im Netz lassen einen daran zweifeln, dass das möglich ist. Die Oberbürgermeisterin will dem Ordnungsamt nun eine Truppe verpassen, die polizeiähnlich agieren kann. Mit Handel und Gastronomie hat sie gesprochen, alle in Sorge. Ganz schön gefährlich. Für Handel und Gastronomie. Eigenwillig, dass man Lüneburg als Hochrisikogebiet darstellt. Sollen die Menschen aus dem Landkreis und Touristen überlegen, ob sie an die Ilmenau kommen?

Das ist wie beim Parken. Endlose Diskussionen, wenn ein paar Stellflächen gestrichen werden. Die Botschaft, die ankommt: "Einkaufen ist mega schwierig bei uns. Das Umland ist auch très chic und attraktiv." Gleichzeitig stehen allein im Parkhaus am Graalwall Aberdutzende Parkplätze leer.

Im Rat hat Claudia Kalisch am Donnerstagabend verkündet, dass sie in Sachen Sicherheit ein "Gespräch in der Staatskanzlei" führt. Keiner der Politiker stellte die naheliegende Frage: Was besprechen Sie da und mit wem? Ob sich der Ministerpräsident für sie Zeit nimmt? Der Sprung auf die nächste Karriereebene?

Egal. Was passieren wird, liegt nahe. Die Staatskanzlei schaltet das Innenministerium ein, das fragt bei der Lüneburger Polizei nach. Stellungnahme, Aktendeckel, abgehakt. Aber immerhin kann die Verwaltungschefin verkünden: "Ich habe was getan, aber sie lassen mich allein."

Bei der Polizei stellt man sich intern die Frage, warum die OB nicht direkt Auf die Hude kommt. Die Frage könnten sich auch Ratsmitglieder stellen. Vielleicht haben Claudia Kalisch und die Politiker vergessen, dass eben Frau Kalisch und Polizeichefin Steffi Lerche im Mai eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen haben. Mit Streifenwagen-Foto im Rathausgarten. Partner. Da läge es nahe, mit seinem Partner zu reden, wenn man laut Pressemitteilung der Meinung ist, durch "eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit den Herausforderungen der Zukunft entschieden entgegenzutreten".

Dies Miteinander gibt es übrigens mit Ordnungsamtleiter Dennis Lauterschlag und auch Sozialarbeitern in der Innenstadt, ist nach ein paar Telefonaten klar.

Anfrage bei der Pressestelle der Polizei. Ergebnis: Die Zahl der Taschendiebstähle hat nicht zugenommen. Gestohlen wird, wie seit Jahren, vor allem in Märkten, offene Tasche im Einkaufswagen -- Portemonnaie weg. Ladendiebstahl, ja, verdoppelt. Aber solle man jetzt in jeden Laden einen Beamten stellen? Für Geschäfte sind die Geschäftsleute zuständig. Autoaufbrüche. Nein, wenn man von den geknackten Handwerkerwagen absieht, nicht mehr und wenn nehmen Täter aus offenstehenden Wagen Kleingeld und Taschen mit.

Fahrrad-Klau. Hohes Niveau. 1300 vergangenes Jahr, Tendenz 2024 ähnlich. Da fällt einem der Evergreen ein: Warum nimmt die Stadt seit sieben, acht Jahren kein Geld in die Hand, um die Fahrradparkhäuser am Bahnhof zu sichern? Warum nimmt sie nicht die untere Etage des Karstadt-Parkhauses und macht eine gesicherte Fahrradstation daraus? Warum bieten Hotels keine Velo-Boxen für Gäste an, die mit Auto und Rad anreisen?

Krawall in der Innenstadt. Nach bisheriger Einschätzung bilanziert die Polizei aktuell weniger Einsätze auf dem Sand als in den vergangenen Jahren. "Wenn es eine Schlägerei gibt, sind im Nu drei Streifenwagen da", heißt es Auf der Hude. "Das dokumentieren Presse und Internet dann." Unsichere Innenstadt? Schreibt man gern.

Alle naselang kontrolliert die Polizei die Drogenszene, geht gegen Straßenkriminalität vor. Verkehrskontrollen an der Salzstraße jede paar Wochen. Gleiches gilt für Radler und E-Roller-Fahrer. Bettler. Gern als Mafia bezeichnet. "Kontrollieren wir, gerade wenn es heißt, da sei ein Kind dabei." Kommt allerdings so gut wie nie vor. Im übrigen sei für solche Dinge das Ordnungsamt zuständig, also letztlich die Oberbürgermeisterin.

Dann die, die psychisch krank sind. Der Mann, der seine Hose öffnet und zeigt, was keiner sehen will. Die Frau die schreit. Junkies und Alkoholiker, die so breit sind, dass sie umfallen oder regelmäßig klauen und geschnappt werden. Davon prägen in wechselnder Besetzung ein Dutzend Menschen das Bild. Es reicht nicht für eine Einweisung in die Psychiatrie, es reicht nicht für einen Haftbefehl. Die Beamten nehmen die Dauerkunden mit, um sie ein paar Stunden später wieder zu treffen.

Noch zwei Zahlen. Die Lüneburger Polizei zählt 350 Mitarbeiter, davon 80 im Einsatz- und Streifendienst. Dazu kommen Fahndung und die Verfügungseinheit, eine robuste Truppe, die in besondere Einsätze geht. Die Stationen im Kreis spielen eine Rolle, Unterstützung aus umliegenden Landkreisen.

Bestimmt kamen die Ratsmitglieder am Donnerstag aus irgendeinem Grund nicht auf die naheliegenden Fragen und haben deshalb verschwitzt zu fragen: "Frau Kalisch, worüber reden Sie in der Staatskanzlei?" Holen sie sicher nach. Genauso die Frage, was die Stadt konkret selber unternimmt, um reisende Bettler anzusprechen, die in Arkaden und Hauseingängen liegen und ihnen zu empfehlen, zum Übernachten in die Herberge zu gehen. Das Sozialkonzept, das Dezernent Florian Forster verfolgt, lassen sie sich sicher vorstellen. Armut und Sucht stellen die soziale Frage.

Wie gesagt, wahrscheinlich bin ich der einzige, der noch nicht ausgeraubt und zusammengeschlagen wurde bei einem Ausflug in die Stadt. Wenn nicht, könnte es sein, dass ein paar Akteure eine überschaubare Lage gewaltig hochjazzen, um als Katastrophenmanager daherkommen. Man könnte einfach seine Arbeit machen, weniger Brimborium, weniger Verantwortung auf Land und Polizei abschieben.

Wie andere Städte auch, hat Lüneburg mit einem Strukturwandel zu kämpfen, bestellen im Netz, leerstehende Geschäfte. Das verdecken weder Pop-up-Kunst-Läden noch ein paar angegrünte Sitzgruppen. Da ist es wenig hilfreich, nach außen zu senden. "Bei uns treffen Sie Kriminelle und Durchgeknallte, Parken machen wir Ihnen obendrein schwer."

Wie wär's mit dem, was Führung ausmacht? Katastrophenmanager und Überkanzler Helmut Schmidt hatte unrecht mit dem Satz "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." Ideen für die Zukunft, Zuversicht, Anpacken, Menschen ernst nehmen und begeistern. Die Oberbürgermeisterin sagte, Lüneburg sei attraktiv und solle das bleiben. So ist das. Eben das gilt es nach außen zu tragen und zu leben. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare

Kommentar von Ulrike
am 28.09.2024 um 18:56:51 Uhr
Sehr guter Artikel! Es wird genau die " trostlose" Stimmung wiedergeben! Alles deprimierend, leider! Gruß Ulrike


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