Lüneburg, am Sonntag den 11.05.2025

Warum das riesige Umspannwerk doch in Rettmer gebaut werden könnte

von Carlo Eggeling am 11.08.2023


Die Freude war groß, aber wohl zu früh: Die Stadt hatte geglaubt, durch einen Fehler habe sie den Bau eines Umspannwerkes auf bis zu 28 Hektar Fläche bei Rettmer abgewandt. Doch Netzbetreiber Tennet sieht das ganz anders, auch das Gebiet rechts und links des Heiligenthaler Wegs komme als Standort infrage. Denn aus Sicht des Unternehmens greift die Argumentation des Rathauses nicht wirklich. Zudem fühlen sich die Planer ermutigt, den Süden der Stadt erneut in den Blick zu nehmen, berichten Projektplaner Philipp Kalweit und sein für Öffentlichkeitsarbeit zuständiger Kollege Sebastian Rutzen: Der Landkreis habe sie "gebeten, den Suchraum wieder ins Verfahren aufzunehmen".

Worum geht es? Deutschland möchte sich aus fossilen Energien verabschieden, die Erneuerbaren sollen das Land unter Strom setzen. Dafür müssen Wind- und Sonnenkraft eingefangen und weitergeleitet werden in die Industrieregionen, also beispielsweise von den Küsten in den Süden. Eine dieser Leitungen soll von Krümmel an der Elbe bis nach Wahle bei Braunschweig führen. Die Planer schauen sich bestehende Leitungen an, zum einen packen sie neue Kabel darauf, zum anderen sichern und erweitern sie Kapazitäten durch neue Verbindungen, die oftmals parallel laufen.

Lüneburg hat eine besondere Bedeutung, hier existiert ein Umspannwerk, das den Strom quasi auf das richtige Verbrauchsmaß portioniert und die Stadt so versorgt. Da nun mehr Strom fließen soll, braucht es Erweiterungen und ein neues Umspannwerk, das mit dem alten verbunden ist, denn das läuft weiter.

Seit zwei Jahren ist klar, wo Stromtrassen durch die Republik gezogen werden sollen, um die Energiewende einzuleiten, seitdem gilt der Netzentwicklungsplan des Bundes. Kommunen können daran ablesen, wo Leitungen gezogen, wo Umspannwerke gebaut werden sollen. Im Bereich Lüneburg minimiert es sich auf einen schmalen Korridor. Letztlich bleiben nach einer Vorprüfung aus Sicht des Netzbetreibers Tennet zwei Standorte für ein Umspannwerk übrig: eine Fläche bei Melbeck, sie reicht vom Kalksandsteinwerk bis zum Auslauf der Ostumgehung Richtung Embsen, und eben das Areal bei Rettmer. Kriterien für die Entscheidung sind Bebauung, vorhandene Versorgungsleitungen, Tier- und Pflanzenwelt.

Wenn aber seit zwei Jahren, und wenn man Bekanntwerden dazu rechnet, seit eineinhalb Jahren klar ist, was kommen könnte, stellt sich die Frage, warum die Stadt und namentlich die Bauverwaltung scheinbar erst jetzt reagiert. Das Baudezernat verweist darauf, dass das sogenannte Antragsverfahren erst im April 2023 eröffnet wurde: "Bis zum Ende des Jahres werden die Belange dazu seitens des Amts für regionale Landesentwicklung gesammelt und ausgewertet. Eine Abwägung und Entscheidung zu den Standorten soll Anfang des nächsten Jahres stattfinden. Bis dahin bleiben alle Suchräume im Verfahren. Die dann bestehende Beschlusslage wird, mit ihren auch längerfristigen Auswirkungen, in das Verfahren einfließen. In diesem Zusammenhang wird derzeit geprüft, welche Entwicklungsabsichten für die Flächen im Untersuchungsbereich bestehen. Eine spätere bauliche Nutzung – auch im Zusammenhang mit künftigen Entwicklungskonzepten – ist weiterhin eine Option."

Das greift allerdings ein wenig kurz. Denn die Tennet-Vertreter hatten kürzlich bei einer Bürgerversammlung in Rettmer erklärt, dass die Aufstellung eines Bebauungsplanes Rettmer aus dem Verfahren genommen hatte. Dann stand in der Zeitung, dass auf Anraten von Baudezernentin Heike Gundermann eben dieser Plan aufgehoben worden sei: Die Flächen sollten für weitere 20 Jahre landwirtschaftlich genutzt werden. Schwupps, nutzte Tennet die Chance, um das Gelände wieder ins Spiel zu bringen. Dass Politik und Verwaltung schlicht vergessen hatten, den Plan tatsächlich aufzuheben, greift aus Sicht Tennets nicht: Da ja erst einmal nicht gebaut werden soll, haben andere Interessen Vorrang.

Ganz offensichtlich hat der Landkreis schneller gehandelt, schildern, die Tennet-Männer Rutzen und Kalweit in einem Gespräch: Für die Fläche bei Melbeck habe der Kreis bereits mögliche Nutzungen angemeldet, unter anderem für Windkraftquirle.

Die Gundermannsche Bauabteilung argumentiert so: "Die Tennet hat erstmals im November 2021 über ihre Absichten im Landkreis Lüneburg informiert, der Rat der HLG wurde darüber im Januar 2022 unterrichtet. In den Sitzungen des Ortsrats Oedeme am 25. August 2022 und des Ortsrats Ochtmissen am 26. September 2022 informierten Vertreter der Tennet über ihre Planungen. Vorgestellt wurde eine Leitungstrasse östlich des Lüneburger Siedlungsraums in einem sehr großen Maßstab ohne räumlich genau fassbaren Verlauf sowie die Ankündigung einer Raumsuche für ein Umspannwerk im Gebiet Lüneburg/Samtgemeinde Gellersen/Samtgemeinde Ilmenau. Konkrete Flächen oder Größen wurden nicht benannt."

Wie gesagt, der Kreis hat früher reagiert, ein Blick auf die Karte zeigt schnell, welche Bereiche möglich sind.

Was könnte den Bau des Umspannwerks eventuell abwenden? Denn im Süden liegen die wenigen Bereiche, in den Bauland ausgewiesen werden könnte. Die braucht Lüneburg; die Oberbürgermeisterin hat kürzlich erklärt, die Salzstadt könne auch mehr als 80 000 Einwohner zählen.

Die Stadt argumentiert auf Nachfrage so: Im Süden könne Lüneburg noch wachsen. Daran arbeite man im Rahmen des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes. Das Phantom ISEK taucht immer wieder auf, Diskussionen, aber scheinbar wenig konkret. Denn über dem Gebiet zwischen Rettmer, Oedeme und Heiligenthal liegt lediglich ein Flächennutzungsplan für Landwirtschaft. Äcker verhinderten aber keine Stromtrassen, stellen die Tennet-Leute klar.

Daher scheint fraglich, ob der Einwand aus dem Rathaus reicht: "Hierzu findet eine nähere Prüfung der Bedarfe und der Eignung für unterschiedliche Nutzungen statt: außer Wohnen natürlich auch für Versorgung, Dienstleistungen, Bildung, Erholung, Sport, Energiegewinnung, Natur/Landschaft und anderes. Konkrete Entwicklungsbereiche sollen noch während des laufenden Raumordnungsverfahrens bestimmt und beschlossen werden, um den Suchräumen für ein Umspannwerk nachvollziehbar die dringend benötigten Entwicklungsräume für die Stadtentwicklung gegenüberzustellen. Die HLG wird in der noch zur Verfügung stehenden Zeit ihre Position deutlich machen, auch durch Beschlüsse des Rates. Das schließt die Überlegungen zu möglichen Alternativen ein."

Energiewende wollen fast alle, die Folgen vor der Haustür nicht. Auch in der Samtgemeinde Ilmenau und Melbeck finden sich genug Argumente gegen einen riesigen Park aus Masten und Co: Man sei schon jetzt mit Windquirlen reichlich belastet, und es sollen noch mehr werden.

Aktuell trägt die Tennet Argumente für Standorte zusammen, zwei bleiben aus ihrer Sicht übrig. Kalweit und Rutzen beschreiben das Procedere so: Das schon genannte Amt für Regionale Landesentwicklung bewertet am Ende alle Argumente und gibt eine Empfehlung ab. Je nachdem, ob die am Ende ausgewählten Flächen, die wohl Landwirten gehören, verkauft oder im Zweifel enteignet werden, entscheiden dann die Landesbehörde für Straßenbau oder der Landkreis über den endgültigen Standort.

Was sagt man im Kreishaus? Die Antwort: "Sowohl der exakte Standort des Umspannwerkes, als auch der notwendigen Trasse, ergeben sich aus dem Raumordnungsverfahren. Sobald dieses eingereicht ist, können wir unsere Interessen im weiteren Verfahren einbringen. Stand jetzt ist jedoch noch kein exakter Standort definiert. Diesen gilt es abzuwarten. Eine Priorisierung gibt es seitens der Kreisverwaltung dafür nicht."

Eins scheint sicher. Es dürfte noch einige Diskussionen mit Bürgern und Politik geben. Für Rettmer ist bereits die Gründung einer Bürgerinitiative angekündigt, klare Ansagen: "Wir werden alle Rechtsmittel nutzen." Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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