Lüneburg, am Sonntag den 29.06.2025

Was man sich so wünscht

von Carlo Eggeling am 29.06.2025


Meine Woche
Illusionen

Die Freude der Oberbürgermeisterin und des Verkehrsdezernenten war groß, als der Rat beschloss, der Initiative Radentscheid beizutreten. Es war angeblich Volkes Wille, auch wenn es keine 8000 Unterschriften dafür gab, also gerade mal ein Zehntel der Einwohner. In der Pressemitteilung des Rathauses schäumte der Jubel, Zitat: >>„Politik und Verwaltung setzen mit dem Beitritt zum Radentscheid ein starkes Zeichen“, sind sich Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch und Verkehrsdezernent Markus Moßmann einig. Denn nur mit einer gelingenden Mobilitätswende sei auch Klimaschutz konsequent umsetzbar.<< So ist das im Theater der Illusion, das Lüneburg so gern spielt.

Das ist drei Jahre her. Die Initiative ist nun traurig. Die Ziele seien nicht erreicht worden, habe ich in der Zeitung gelesen: „Die Verwaltung hat sehr gute Ideen und auch sehr viel Personal eingesetzt, wird aber fast überall von der Politik gestoppt“, sagt Urte Modlich. Vor allem von der SPD sei man enttäuscht. Aha. Warum nicht von der CDU und der FDP, die zum Beispiel beim Parken und dem Verkehrskonzept ebenfalls auf mehr Einfluss der Politik bestanden haben?

Warum nicht auf die Grünen? Sie stellen die stärkste Fraktion im Rat und die Oberbürgermeisterin. Vielleicht weil man initiativ im Kommunalwahlkampf eben Wahlkampf für die Grünen gemacht hat? Zur Erinnerung: Die Initiative Radentscheid hatte 2021 Monate vor dem Wahltermin die Stadt massenhaft mit Plakaten tapeziert: "Deine Oma will auch sicher und komfortabel mit dem Rad in die Stadt fahren." Die Foto-Großmutter sah aus, als hätte sie ihren Enkeln ein paar Pillen Speed geklaut und eingeworfen. Davon abgesehen, dass viele Senioren eher mit dem Rollator und dem Bus unterwegs sind, im Straßenverkehr ist Rausch justiziabel. Schon in der Vorlage für den Ratsbeschluss heißt es, dass die fristgerechte Umsetzung der Ziele von den vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen der Stadt abhingen.

Nicht anders ist es bei der anderen Initiative, die im Kommunalwahlkampf für die Grünen mobil machte, dem Klimaentscheid. Frohen Herzens wollten wir darauf schauen, die Metropole in der Heide bis 2030 als klimaneutrales Habitat auszuweisen. Gleichwohl nennt die Ratsvorlage Ende 2021 das Ganze hier ebenso Luftschloss, doch der Wille zählte: "Es handelt sich bei dem zu treffenden Beschluss daher lediglich um eine Zielvorstellung, die nicht garantiert werden kann." Auch wenn mancher aus "global denken, lokal handeln" Heimat-patriotisch ableitet, dass Lüneburg weltbedeutend wirkt, schränkt die Verwaltung realistisch ein, dass die Salzstadt vieles eben nicht beeinflussen könne. Der Ukraine-Krieg kam dazu, Fridays for Future wurde vergessen, Klimakleber ebenso.

Kommen wir zum nächsten Schauspiel im Theater der Illusionen. Lüneburgs Baudezernat freut sich über einen neuen Fachbereichsleiter Stadtentwicklung. In der Pressemitteilung der Stadt lesen wir: >>"In Lüneburg will der neue Fachbereichsleiter zentrale Herausforderungen wie Wohnraummangel, Klimaanpassung und Innenstadtentwicklung in den Fokus nehmen. Ein besonderes Anliegen ist ihm dabei unter anderem die Belebung leerstehender Obergeschosse in der Altstadt sowie der Erhalt eines vielfältigen innerstädtischen Angebots. „Lüneburg hat mit seiner historischen Altstadt einen Schatz, den es zu pflegen und an die aktuellen Bedürfnisse behutsam anzupassen gilt“, betont er, in dessen Aufgabenbereich auch die Denkmalpflege fällt. Es gebe viele Häuser, deren Obergeschosse leer stehen: „Hier sollten gemeinsam mit dem Wohnraumbüro weitere Anreize zur Nutzung geschaffen werden."<<

Der Mann hat Recht. Doch erinnern wir uns noch einmal an den Wahlkampf. 1000, gar 2000 Wohnungen würden in Dachgeschossen möglich sein, versprach eine erfolgreiche Kandidatin. Binnen dreieinhalb Jahren wurden nach meinem Wissen keine zwanzig gebaut. Wer über einem Geschäft wieder Wohnen ermöglichen will, muss zig Auflagen in Sachen Brandschutz und Fluchtwege erfüllen. Wir denken an den Denkmalschutz, der auch eine Rolle spielt. Könnte sein, dass der Mann dafür länger braucht, als bis zu seinem Renteneintritt. Er ist laut Mitteilung 57.

Wir bekommen den nächsten Bürgerrat. Eine Ratsmehrheit möchte, dass sich zufällig ausgewählte Bürger Gedanken machen, was aus dem Schrangenplatz Tolles für Kinder werden kann. Konsumfrei natürlich. Der erste Bürgerrat, 25 000 Euro plus Personalkosten teuer, präsentierte Ideen fürs Glockenhaus. Umgesetzt werden kann kaum etwas, weil der Bau schadstoffverseucht ist, was seit gut zwei Jahrzehnten bekannt ist. Millionen für die Sanierung hat die Stadt nicht.

Der Eis-Pavillon soll weg, findet man. Auch wenn viele finden, er passt in die Kneipenmeile Schröderstraße, an der schon gefühlt seit einem halben Jahrhundert eine Bude steht. Erst als Imbiss, später kurz als Cocktailbar, dann als Eisdiele. Ich glaube, da bekommen viele Kinder eine Kugel Schoko. Was soll nun entwickelt werden? Was ist möglich? Bisschen Grün, drei Bänke und ein paar Spielgeräte. Konsumfrei. Wer hindert heute jemanden, sich mit Butterkeksen und Thermoskanne auf die vorhandenen Bänke zu setzen?

Das neue tolle Konzept tut am Ende wieder keinem weh. Denn umsetzen kann die Verwaltung das Ganze eh erst in ein paar Jahren. Wenn das Geld dafür da ist angesichts eines Haushalts, der einem Unternehmen eigentlich den Gang zum Insolvenzgericht nahelegen würde. Warum nicht mal ein Bürgerrat zum Thema Fahrrad unter dem Motto Rücksichtnahme auf Fußgänger? Denn bei aller Pedalo-Begeisterung nervt viele beispielsweise das hohe Tempo an Lünertorstraße und Kaufhausbrücke, wo die Stadt das konsumfrei Bridgen unterstützt -- dann kommt nach dem Hamburg-Metronom vom Bahnhof die Tour de France vorbei.

Wäre ein Radentscheid der anderen Art. Ob es eine Initiative gibt, die sich dessen annimmt und annehmen darf? Allein die Idee ist selbstverständlich illusorisch. Freie Fahrt für freie Radler. Carlo Eggeling



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