Lüneburg, am Sonntag den 04.05.2025

Wenn Kritik abperlt und als meckern gilt

von Carlo Eggeling am 05.08.2023


Meine Woche

Untertan

Grüne Oasen. Das erinnert manchen an vergessenen Sperrmüll kombiniert mit Strunken; andererseits muss man sagen, die Sitzecken werden gut angenommen. Kurz, über Geschmack lässt sich streiten, gute Idee, mäßig umgesetzt. Interessant ist, dass in der ansonsten seit Monaten wie sediert wirkenden Stadt eine Diskussion aufbrandet. Im Netz ist viel kontra und wenig pro zu lesen; beim Einkauf, am Stammtisch, beim Sport überall sind die Dinger ein Aufreger.

Der Bürger als solcher ist wach, die Politik döst weiter vor sich hin, keine Muße, eine Pressemitteilung zu verfassen. Einzelne aus dem Bauausschuss melden sich und finden Kritik blöd. Es gebe immer Meckerpötte. Nun ja, die gibt es. Allerdings wirkt es ein wenig schlicht, wenn man als Politiker mit großem Anspruch ein Thema nicht erkennt. Gerade, wenn man nicht zur Regierungsfraktion gehört.

Da könnte man Infostände direkt in der Wüste machen, meint: neben den Oasen und Passanten befragen. Man könnte schönere Alternativen zeigen, die an den Brodbänken oder an der Alster in Hamburg oder als Original in Lübeck zu finden sind. Nö, der Bürger meckert. Das muss man sich nicht antun. Kann auch sein, dass er lobt.

Dabei wächst die Unzufriedenheit, und sie betrifft nicht nur das große Berliner Theater, auch zwischen Kaltenmoor und Kreideberg gefällt vielen die Darbietung nicht, weder die der Verwaltung noch die der Politik.

Daher mal so nebenbei in Sachen Brandmauern und Unvereinbarkeit: Die AfD steht laut Umfragen bei 21 Prozent Zustimmung. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat dem Tagesspiegel zufolge herausgefunden: "41 Prozent der Befragten gaben an, dass die Parteien die Zusammenarbeit mit der AfD vollständig ausschließen sollten - Mitte Juli waren es 47 Prozent. 35 Prozent sprachen sich dafür aus, dass über eine Zusammenarbeit im Einzelfall entschieden werden sollte. In der Umfrage zuvor lag dieser Wert bei 27 Prozent." Läuft für die extrem rechte Partei, würde ich sagen.

Selbst die Grünen stehen nicht mehr in purer Ablehnung zusammen, die Süddeutsche schreibt: In Burladingen (Zollernalbkreis) will die Grünen-Fraktion vernünftige Vorschläge der AfD unterstützen und nicht kategorisch ablehnen, sagte der Burladinger Grünen-Fraktionschef Peter Thriemer: "In der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit würden wir einen Antrag der AfD garantiert nicht ablehnen, wenn er der Bürgerschaft und der Stadt weiterhilft."

Könnte sein, dass es hilft, mit den Meckerpötten, also den Bürgern, mal zu reden. Wie hält man es im Rathaus? Auf meine Nachfrage, wie es dort um Beschwerden bestellt ist, konnte die Pressestelle zunächst keine Zahlen nennen, nach einer zweiten Anfrage doch, kurz: es gibt ein sattes Plus:

2019: 939 Nachrichten / 2020: 813 Nachrichten / 2021: 1087 Nachrichten / 2022: 1182 Nachrichten / 2023: 863 Nachrichten, der letzte Wert gilt bis zum 2. August. Hochgerechnet dürften also noch 500 bis 600 Meldungen dazukommen, dann wäre man bei 1350 bis 1450. Das bezieht sich allerdings nur auf „Sag’s uns einfach“, das Stadtpostfach, den "Digitalen-Ideen-Briefkasten". Der wurde noch unter dem alten Oberbürgermeister 2019 eingeführt. Es handelt sich um gemeinsames Projekt der Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen, das die Kommunen nutzen können.

Doch es gibt noch mehr Meldungen, Lob und Tadel: direkte Anfragen in den Ämtern der Stadt, bei Sachbearbeitern. Die würden nicht einzeln erfasst. Dazu kämen die "Bürger:innen-Sprechstunden" der Oberbürgermeisterin: "Diese werden in der Regel gut angenommen." Themen: "Gestaltung von Plätzen oder Wegen, bis hin zu spannenden Anregungen zu den großen Themen wie Mobilität, Klimaschutz und Innenstadtentwicklung." Dazu muss man sagen, dass man sich anmelden muss und in der Regel Zehn-Minuten-Gespräche führen kann.

Der alte Oberbürgermeister, der solche Runden zu Beginn seiner Dienstzeit ebenfalls angeboten hatte, schaffte sie wieder ab. "Es kamen dieselben Leute. Das brachte nicht viel", sagt er. Dafür fuhr er mit dem Bus zur Arbeit, ging zu Fuß ins Rathaus und war bei zig Veranstaltungen von den Kleingärtnern bis zur Wirtschaft dabei. Er hörte viel, seine kleinen Zettel mit Notizen und Arbeitsaufträgen für die Verwaltung waren legendär. Bei Bürgerversammlungen saß er vorne. Heute sind andere Termine wichtiger, in Rettmer reichte neulich ein Sachbearbeiter.

Andere Zeiten eben. Doch es läge nahe, all die Anliegen der Bürger zu erfassen, statt Arbeitskreise einzurichten, die versanden, ob zur Ukraine-Hilfe, zur Gas-Krise, zur Innenstadtbelebung oder wie neulich zu Runden zur Mobilität einzuladen, bei denen Verbände sitzen, deren Anliegen so vorhersehbar sind wie der Beginn der Tagesschau um 20 Uhr. In die aber kein Normalo vom Kreideberg oder aus Kaltenmoor kommt.

Der Untertan als solcher, oder Meckerpott, ist immer ein Risiko. Da sind wir wieder bei den Oasen. Es wurden zuvor weder der verdiente Arbeitskreis Lüneburger Altstadt gehört noch der Behindertenbeirat noch die Gärtnereien, die Tipps hätten geben können. Wie gut, dass die Verwaltung die Dinge richtet und wir uns über Politiker freuen dürfen, die wissen, was Bürger wollen: meckern.

Entschuldigung, falls ich irgendwen gestört habe. In diesem Sinne bleiben Sie liegen. Ist Wochenende. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare

Kommentar von Werner Waschke
am 06.08.2023 um 13:29:03 Uhr
Bravo! 👏👏👏


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