Wer braucht Journalisten?
von Carlo Eggeling am 25.11.2025Wer braucht Journalisten? Pressestelle berichten doch
Zu beobachten ist es seit langem: Die Pressestelle der Stadt informiert nicht nur über Verwaltungsarbeit, sie produziert zudem viele Bilder der Oberbürgermeisterin. Der Landeszeitung war die Arbeit der Pressestellen von Stadt und Kreis jetzt eine Aufmachergeschichte wert. Während sich die LZ vor allem mit der Konkurrenz aus den Verwaltungen und eben deren eingeschränktem Blickwinkel beschäftigt, stellt sich überdies die Frage, wie es mit einer Dauerwerbesendung für Verwaltungschefs und ihr Handeln ausschaut. Mit Claudia Kalisch zog das Selfie ins Rathaus ein. So viele Bilder und Videoschnipsel gab es zuvor nicht.
Da die Pressestelle oder eine Referentin augenscheinlich sehr viele Bilder aufnimmt, liegt die Frage nahe, ist das Aufgabe von Verwaltungsmitarbeitern, die aus Steuermitteln bezahlt werden? Wo liegt die Grenze der Neutralität? Als der Rat mit Mehrheit die Pläne für eine Fahrradstraße über die Ilmenaustraße stoppte, folgte unmittelbar nach der Sitzung eine Videobotschaft der Oberbürgermeisterin, die den Beschluss erkennbar für nicht gerade klug hält. Damit ist sie auf Linie ihrer Partei, den Grünen.
Es folgte eine Pressemitteilung aus dem Rathaus, mit der Haltung, man setze den Ratsbeschluss zwar um, aber da verlange die Politik die Quadratur des Kreises. Ist das eine Information oder der Versuch, Politik zu machen?
Sieben Köpfe zählt die Pressestelle der Stadt, es sind nicht alles Vollzeitstellen. Im Landkreis sind es fünf Kollegen. Dort betont man, dass Landrat Jens Böther Social-Media-Kanäle selber bespielt. Das ist im Rathaus anders, die Pressestelle betreut den Instagram-Kanal „ob_kalisch“ mit, das persönliche Social-Media-Profil der Verwaltungschefin. Warum?
Zudem hat die Oberbürgermeisterin einen grünen Parteifreund zum persönlichen Referenten gemacht. Der hat zuvor für die Bild, die LZ und die Lünepost gearbeitet. Im Rat pflegt er einen engen Umgang mit den Vertretern der LZ. Lüneburg aktuell und LGheute, deren Berichterstattung nicht so zu gefallen scheint, begrüßt er nicht einmal. Was persönlich verständlich und nicht schlimm ist, wirkt allerdings im professionellen Miteinander eben wenig professionell. Die Kollegen in der städtischen Pressestelle halten es im Umgang anders.
Neulich betonte das Rathaus, die Mitarbeiter der Pressestelle seien gerade erst vom Niedersächsischen Städtetag geschult worden, um Pressearbeit für die Kommune klar von Wahlkampfbotschaften abzugrenzen. Man könnte sich natürlich fragen, warum sie jetzt geschult wurden, haben sie vorher nicht getrennt? Warum müssen sie in einer Selbstverständlichkeit überhaupt geschult werden? Wie definieren Sprecherinnen, wie die OB Pressearbeit für die Stadt?
Wo bleibt eigentlich der Rat, dessen Vertreter und Parteien Öffentlichkeitsarbeit selber betreiben und finanzieren müssen? Wie betrachtet der Stadtrat als Auftraggeber der Verwaltung die Informationspolitik und Selbstdarstellung der Verwaltungsspitze? Was sieht er überhaupt?
Claudia Kalisch ist mit ihren Auftritten nicht allein. Auch andere Politiker haben erkannt, dass sie das Internet bespielen sollten oder müssen. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ist ein Beispiel. Auch bei ihr kann der Betrachter den Eindruck gewinnen, es gehe nicht nur um ihr Amt und ihren Job. Es scheint verschiedene Wege zu geben, Jens Böther geht einen dezenteren.
Neue Wege müssen Politik und Verwaltung gehen. Denn über die Zeitung kommen sie im Wortsinne nicht an.
Deren Ende ist nahe. 2033 erscheine die letzte gedruckte Tageszeitung hatte Journalistik-Prof. Dr. Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt 2019 prognostiziert. Er hatte die sinkenden Auflagezahlen seit Anfang der 1990er Jahre hochgerechnet. Der Trend beschleunigt sich. Einige haben bereits Schluss gemacht. In Ostdeutschland strichen Verlage Ausgaben in manchen Regionen. Es rechnet sich schlicht nicht, die Zeitung zuzustellen. Es kostet mehr, als der Leser bezahlt. Andere Beispiele, die eine Entwicklung vorzeichnen dürften: Die in Lüneburg gedruckte Hamburger Morgenpost erscheint seit April vergangenen Jahres in Papierform nur noch zum Wochenende, vor ein paar Monaten zog die taz nach -- ihre Hoffnung: Leser klicken zu digitalen Beiträgen und zahlen dafür. Um es einzuordnen: Die Hamburger Morgenpost, die um 1970 eine Auflage von 350 000 Exemplaren zählte, lag im April 2024 bei gut 16 500.
Damit sind wir auch in Lüneburg. Im LZ-Beitrag vom Montag ging es darum, dass Stadt und Landkreis immer stärker auf Selbstvermarktung setzen. Dazu stimmt der Autor im Chor mit Verlegerverbänden und Journalistenverbänden das Klagelied an, so würde Verwaltungshandeln nicht mehr hinterfragt. Das schade der Demokratie.
Das ist so richtig wie langweilig. Denn wenn Zeitung -- land auf, land ab -- nicht mehr gelesen wird, Auflagen sinken, das Durchschnittsalter des LZ-Leser inzwischen bei mehr als 70 Jahren liegen dürfte, ja, was sollen Kommunen tun, um Bürger zu erreichen? Laut Statistik beträgt die tägliche Auflage der LZ über die Woche gerechnet rund 20 000 Exemplaren, damit hat sie in den vergangenen Jahrzehnten halbiert. In der Stadt wohnen rund 80 000 Menschen, im Landkreis 185 000. Selbst wenn die Zeitung von zwei, drei Personen gelesen wird -- wie viele erreicht sie (nicht)?
Als jetzt ehemaliger Reporter der LZ durfte ich mit dem damaligen Chefredakteur vor mehr als sieben Jahren zu einem Seminar nach Augsburg reisen mit dem Titel "Wir rocken das Rathaus". Das klang so, wie man es als Volontär lernte, eine Überschrift ist wie ein Lasso, sie soll dich in den Text ziehen. Manches war hilfreich, vieles Alltag für Kollegen, die Jahrzehnte über Lokalpolitik berichten. Um im Bild zu bleiben, in Augsburg rockten nicht wilden Rolling Stones der frühen Jahre, es plätscherte eher so aufregend wie bei Santiano.
Interessant war ein Abend mit zwei Bürgermeistern, einer aus Sachsen, der andere aus Sachsen-Anhalt. Beide erklärten, die Tageszeitung brauchten sie nicht: Die werde wenig gelesen, Journalisten kämen kaum zu Sitzungen und Terminen, oft sei die Berichterstattung oberflächlich. Sie selber nutzten beispielsweise Facebook als eine Art Schwarzes Brett, um ihre Anliegen zu verbreiten. Funktioniere gut. Das ist zwischen Amelinghausen und Zeetze lange zu beobachten.
Empörung im Saal. Wo bleibe kritischer Journalismus, der die Verwaltung hinterfrage, der die Argumente der Parteien im Rat durchleuchte. Es gehe um die Demokratie. Die Bürgermeister nickten, könne sein, sie orientierten sich an der Realität. War nicht so schön für uns 40 Journalisten.
Der damalige LZ-Chefredakteur fand viele der Seminar-Ideen augenscheinlich toll, andere seiner Chefkollegen ebenfalls. Es folgten und folgen Aktionen, für die man sich gemeinsam mit dem Veranstalter, der Bundeszentrale für politische Bildung, bis heute gern selber lobt. Sie helfen nicht, kosten eimerweise Geld und bringen kaum einen neuen Leser.
Verlegerverbände und Journalistenorganisation fordern gern Unterstützung, geringere Steuern und -- besonders putzig -- Staatsknete, um die Zustellung zu subventionieren. Als ob ein neuer Sattel einem zusammenbrechenden Gaul neue Kraft verleihen würde. Wem soll man die Zeitung zustellen, wenn sie immer weniger Kunden findet.
Was ist mit Grundgesetz-Artikel 5, der Pressefreiheit und Kontrollfunktion der Presse garantiert? Wo bleibt die Staatsferne? Wie will man Verwaltungen und Politik kritisieren, an deren Tropf man hängt? Wie mäßig das funktioniert, zeigt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk mit seinen Rundfunkräten aus Politik und "gesellschaftlich relevanten Gruppen" zur Genüge. Da schreien Redaktionen auf, wenn jemand bestimmte Themen infrage stellt. Damals gab es im Fernsehen Report mit linken Moderatoren wie Klaus Bednarz und aus München Extrem-Konservative wie Richard Löwenthal. Wo ist der Pluralismus geblieben?
Der Weg ins Digitale ist mühsam. Lange Texte wie dieser funktionieren kaum. Zeit und Muße investieren wenige. Videos, am besten in weniger als 20 Sekunden -- wahnsinnig witzig oder schrecklich nah am Unfall und Feuer bringen reichlich Klicks. Das kann man locker herausfiltern.
Wenn Verleger sich nun beklagen, dass Verwaltungen eigene Kanäle bespielen, kann man ihnen folgen. Oder es lassen. Verleger sind Unternehmer. Da müssen sie wohl etwas unternehmen, um weiter Geld zu verdienen.
Klar, braucht Journalismus Unterstützung. Zum Beispiel gegen die KI. Die erzählt einem, was beispielsweise in Walsrode so los ist. Woher weiß sie das? Weil sie hinter die Bezahlschranke der Lokalzeitung greift und klaut, der Spiegel hat das kürzlich beschrieben. Gibt es keine Lokalzeitung mehr, passiert wahrscheinlich nichts mehr in Walsrode. Zumindest für die KI. Wo sollte sie klauen? Carlo Eggeling
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