Lüneburg, am Freitag den 04.07.2025

Wer Freiheit will, sollte weniger klagen

von Carlo Eggeling am 04.05.2024


Meine Woche
Lasso, vertüddelt

Vor sechs Jahren habe ich ein Seminar besucht. Gut 40 Journalisten saßen in Augsburg zusammen unter dem Titel "Wir rocken das Rathaus". Das klang so, wie man es als Volontär lernte, eine Überschrift ist wie ein Lasso, sie soll dich in den Text ziehen. Manches war ganz hilfreich, vieles Alltag für Kollegen, die Jahrzehnte über Lokalpolitik berichten. Um im Bild zu bleiben, es waren nicht wilden Rolling Stones der frühen Jahren, eher so aufregend wie Santiano.

Interessant war ein Abend mit zwei Bürgermeistern, einer aus Sachsen, der andere aus Sachsen-Anhalt. Beide erklärten, die Tageszeitung brauchten sie nicht: Die werde wenig gelesen, Journalisten kämen kaum zu Sitzungen und Terminen, oft sei die Berichterstattung oberflächlich. Sie selber nutzten beispielsweise Facebook als eine Art Schwarzes Brett, um ihre Anliegen zu verbreiten. Funktioniere gut.

Empörung im Saal. Wo bleibe kritischer Journalismus, der die Verwaltung hinterfrage, der die Argumente der Parteien im Rat durchleuchte. Es gehe um die Demokratie. Die Bürgermeister nickten, könne sein, sie orientierten sich an der Realität. War nicht so schön für uns.

Tageszeitungen verlieren an Auflage, allesamt. Die eine mehr, die andere weniger. Hier eher mehr. Die Hamburger Morgenpost, die um 1970 eine Auflage von 350 000 Exemplaren zählte, lag im April 2024 bei gut 16 500. Der Verleger stellte jetzt den täglichen Verkauf ein, zum Wochenende kommt ein Magazin, ansonsten alles online. Ob das aufgeht?

Die Referenten aus Augsburg und die Organisatoren der Bundeszentrale für Politische Bildung sind im Netz aktiv, man kann sehen, was sie machen. Leser-Blatt-Bindung ist ein schönes Konzept. Der eine besucht Leser mit einem Kuchenpaket, andere setzen auf Stände in der Fußgängerzone, andere auf QR-Codes, Zeitung in der Schule ist beliebt. Die Jugendlichen finden es cool, für einen Tag -- und tippen im Handy. Keine Abos.

Nähe schaffen als Motto. Sollte die ein Lokaljournalist nicht selbstverständlich besitzen, weil er dabei ist, seine Stadt sein Land kennt, den Sportverein, die Kneipe, die Schulen, in die seine Kinder gehen, weil er in seinem Dorf lebt? Er kennt viele, viele kennen ihn.

Die Zukunft liege im Internet, war in Augsburg zu hören, das erzählen meine alten Kollegen seit Jahren. Ja, wo sonst? Aber mit welchen Rezepten? Die scheinen überschaubar. So wie in Augsburg.

Viele Referenten von einst machen und tun als Chefredakteure, aber die Zahlen steigen nicht. Halten wäre schon ein Erfolg, es geht abwärts. Wahrscheinlich hat keiner die rechte Idee, wie er sich und die Redaktion mit der gewohnten Papier-Zeitung ins E-Paper rettet. Es wirkt so, als würde ein Radiosender sagen, wir machen jetzt Fernsehen, aber ohne Bilder. All das in einer Welt, die immer visueller wird. Und andere Formate wie Facebook, Instagram und Tiktok werfen wenig Geld ab.

Es gab die lustige, gern kopierte Idee im Wahlkampf, Kandidaten sollten Fragen mit Emojis beantworten. Glücklicherweise starb das Projekt zügig einen gnädigen Tod. Wie wär's mit Handwerk. Mit Klassikern wie Recherche, Nachricht, Kommentar, Sprachwitz. Mit weniger Predigt zum angeblich bevorstehenden Weltuntergang. Mit mehr zutrauen in den Leser, der Informationen möchte, keine Belehrungen.

Verlage kaufen sich groß, die Redaktionen werden kleiner. RND ist ein Beispiel, viele kleine Auflagen bei geringeren Kosten funktionieren als Geschäftsmodell. Die Papierausgaben verschwinden, das Digitale bleibt. Spart einen Vertrieb, der mangels Austrägern eh ständig ausfällt — aber vom genervten Kunden mitbezahlt werden soll.

Die beiden Bürgermeister von Augsburg sind -- im übertragenden Sinne -- längst hier angekommen. In Bleckede und Ochtmissen nutzen die Bürgermeister Facebook als Bekanntmachungsbrett, in Melbeck ist es nicht anders. In Amelinghausen hat der Bürgermeister seine Halbzeitbilanz nach zweieinhalb Jahren als Video bei You tube hochgeladen.

Gestern war der Tag der Pressefreiheit. Da war zu hören und zu lesen, wie wichtig Journalismus ist, dass man nach dem Papier im Digitalen die Zukunft sehe. Wie schwierig der Übergang sei. Ach was. Echt?

Dann ein langes Leid, was Redaktionen so leisten müssen. Doppelte Belastung. Print und online. Dabei liest man jede Menge begrenzt bearbeiteter Pressemitteilungen, die hinter Bezahlschranken stehen.

Im übrigen: Wen interessiert das Wehklagen, wo bleibt die Begeisterung in einem aufregenden Beruf zu arbeiten? Wo das Selbstverständnis, die das Grundgesetz absichert, den Mächtigen auf die Finger zu schauen — für die Leser, die über die Politik abstimmen? Journalismus, der kritisch und unabhängig sein möchte und muss, braucht Leser und Zuschauer. Wenn die sich abwenden, wäre ein Blick in den Spiegel hilfreich -- ist relevant, was ich anbiete?

Der Gründer des Stern, auch er scheint zu verglühen, Henri Nannen, hat sein Magazin als Wundertüte bezeichnet, es müsse überraschen. Wir sind wieder beim Lasso, das im Moment so oft vertüddelt wirkt. Der Journalist und spätere Bundeskanzler Willy Brandt hat es beschrieben: "Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird."

Mal sehen, wer und was überlebt. Keine Ahnung. Ist die Zeitung verblichen, Prognosen zufolge in nicht einmal zehn Jahren, ist etwas anderes da. Und weil es mir ein bisschen ans Herz geht, noch einmal Willy Brandt, ein Grußwort zur Sozialistischen Internationale: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Machen, nicht wehklagen. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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