Lüneburg, am Montag den 13.10.2025

Wie nah ist Polizei dem Komplizen des mutmaßlichen Göhrde-Mörders?

von Carlo Eggeling am 13.10.2025


Zwei Paare starben im Sommer 1989 in der Göhrde, nun scheint es, als sei die Polizei kurz davor, einen der Täter zu ermitteln. Das legt eine Dokumentation nahe, die in der ZDF-Mediathek zu finden ist. Indizien, dazu die Auswertung von DNA-Spuren würden recht konkret auf einen Verdächtigen deuten, zitieren die Autoren die Polizei. Einer der Mörder ist aus Sicht der Cold-Case-Einheit, die sich mit den Taten beschäftigt, mit hoher Wahrscheinlichkeit Kurt Werner Wichmann, doch er hatte mutmaßlich einen Komplizen, seit 2017 ist er im Visier, ein Mann aus dem engsten Umfeld Wichmanns. Glaubt man dem Optimismus der Doku, zieht sich die Schlinge zu. Allerdings schweigt der Betreffende, und bislang gibt es keine so handfesten Beweise, die reichen, um ihm eine Beteiligung nachzuweisen. Man könnte sich die Frage stellen, ob die Polizei Druck aufbauen möchte, um den Mann zu einem Geständnis zu bewegen.

Anlass, Fragen an die Polizeidirektion Lüneburg zu stellen und für eine Rückblende. Kurz nacheinander sterben nahe dem Forsthaus Röthen an der Kreisgrenze zwischen Lüneburg und Lüchow-Dannenberg zwei Paare. Die Reinholds aus Hamburg und Ingrid Warmbier und Bernd-Michael Köpping, die für ein Stelldichein ins Grüne gefahren sind. Dort treffen sie auf ihren Mörder. Der Täter fährt mit den Autos der Opfer davon, ein Wagen wird später in Winsen entdeckt, der andere in Bad Bevensen. Auf die Spur Wichmanns kommt die Polizei mehr als zwei Jahrzehnte später -- durch weiterentwickelte Technik, in einem Auto findet sich Wichmanns DNA. Der Verdacht: Der Täter muss jemanden gehabt haben, der ihn in die menschenleere Gegend gebracht hat.

Verantwortlich ist Wichmann für einen anderen Mord. Ebenfalls im Sommer 1989 verschwindet Birgit Meier aus Brietlingen-Moorburg. Die Behörden gehen zunächst davon aus, dass die Frau, die von ihrem Mann getrennt lebt, irgendwohin abgetaucht ist. Einem Vermisstenfall schenken sie wenig Beachtung. Das ändert sich erst 1993, als eine neue Staatsanwältin die Sache übernimmt, die schließt einen Mord nicht aus. Denn schon 1989 deuten erste Hinweise auf Wichmann.

Als die Polizei mit Ankündigung anrückt, flüchtet er. Durch einen Zufall, er baut bei Heilbronn einen Unfall, nehmen Beamte in fest, als sie Teile einer Maschinenpistole in seinem Kofferraum finden. Offenbar hält Wichmann seine Lage für aussichtslos, er nimmt sich 1993 das Leben. Zuvor schreibt er Abschiedsbriefe, die auf sein Haus am Lüneburger Stadtrand hinweisen. Die Familie soll gut Acht geben, es nicht verkaufen. Die Polizei findet dort Video-Kassetten und Zeitungsartikel, die auf weitere Gewaltverbrechen deuten, auch auf die Göhrde.

Doch entgegen Einschätzungen damaliger Ermittler, die sehen, dass es um mehr gehen könnte, schließen die Behörden die Akten -- gegen Tote wird nicht ermittelt.

Nicht ruhen lässt das Wolfgang Sielaff, er ist damals Chef des Landeskriminalamtes und Bruder Birgit Meiers. Nach seiner Pensionierung wertet er Akten aus, befragt Zeitzeugen und schart eine Gruppe von Experten um sich, darunter Klaus Püschel, Leiter der Hamburger Rechtsmedizin, und Reinhard Chedor, Sielaffs Nachfolger beim LKA. Die Gruppe findet schließlich im September 2017 Überreste Birgit Meiers unter Wichmanns Garage und holt die Polizei.

Nach langem Hin und Her drehen Ermittler Wichmans Grundstück und Haus auf links, sie finden vergrabene Schuhe, Handtaschen, Portemonnaies. 423 Asservate. Der Verdacht: weitere Mordfälle. Eine Ermittlungsgruppe kümmert sich darum, später heißt sie Cold Case Einheit. Wer ebenfalls weitermacht, sind Reinhard Chedor und Klaus Püschel, die das Schicksal mutmaßlich weiterer Angehöriger nicht ruhen lässt, auch Chedor sammelt Fachleute um sich.

Chedor und sein Team bekommen Hinweise auf den Raum Cuxhaven und Bremerhaven, dort verschwinden in den 70er und 80er Jahren sechs Frauen, ihre Leichen werden nie gefunden. Dazu kommen Mordfälle. Wichmann hatte enge Beziehungen in den Bereich, finden Chedor und Co heraus. Dazu kommen Morde in Süddeutschland, in der Nähe von Karlsruhe lebte Wichmann Mitte der 1970er Jahre mindestens drei Jahre lang, das ergeben Melderegisterauszüge. Und dort ist in ähnlicher Zeit eben auch der Mann gemeldet, der als möglicher Mittäter der Göhrde-Morde in Betracht kommt. Wieder eine Todesserie. Täter unbekannt.

Eine Operative Fallanalyse des Landeskriminalamtes Niedersachsen spricht davon, dass Wichmann für Gewalttaten im hohen zweistelligen Bereich infrage kommen kann. Wenn dem so war, dürfte er nicht nur allein gehandelt haben. Aber konkrete Spuren, die beispielsweise die verbuddelten Damenschuhe und -taschen und die beiden Männer verbinden könnten, gibt es bisher nicht.

Die ZDF-Dokumentation, die auf Chedor und sein Team nicht eingeht, legt allerdings nahe, dass die Polizei durch in Untersuchungen einer Wissenschaftlerin eben diese DNA-Spuren finden könnte. Das noch in diesem Jahr, im Beitrag ist die Rede davon, dass Akten demnächst geschlossen werden könnten und man den möglichen Mittäter Wichmanns ermittelt. Mord und Beihilfe zum Mord verjähren nicht.

Ein Nachfrage Auf der Hude ergab Antworten, die weniger optimistisch klingen als das, was Beamte im ZDF erklären. Die Polizeidirektion hat ihre Erklärungen mit den Staatsanwaltschaften Lüneburg und Stade abgestimmt. Zum Tatverdächtigen mache man keine Angaben, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Was da gefährdet werden soll, liegt im Dunkeln. Der Mann saß nach dem Fund der Überreste Birgit Meiers bei der Polizei und wurde erkennungsdienstlich behandelt, ihm wurden DNA-Proben entnommen. Er galt zeitweilig als Beschuldigter. Das hat er kaum vergessen.

Wie viele Proben die Wissenschaftler untersuchen, beantwortet die Polizei nicht. Es habe Treffer gegeben, von DNA-Varianten, sogenannte Haplotypen. Die reichen mutmaßlich nicht aus, um zum Mittäter zu kommen -- sonst hätte die Polizei ihn wohl festgenommen.

Interessant ist, dass man beispielsweise keine Hundehaare untersucht, die in anderen Mordfällen eine Rolle spielen könnten -- Wichmann besaß Hunde, seine Opfer nicht. Die Polizei: "Aktuell werden mögliche DNA-Spuren im LKA Niedersachsen wie auch im Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Rechtsmedizin, Forensische Molekulargenetik untersucht. Es handelt sich dabei um Spurenmaterial aus verschiedenen Ermittlungskomplexen. Es geht dabei ausschließlich um menschliche DNA."

Während es im Beitrag ziemlich klar heißt, nach bald neun Jahren Ermittlungsgruppe gehe es bei den Göhrde-Morden und Wichmann auf den Abschluss zu, liest sich die Antwort so, als habe jemand noch einmal nachgedacht: "Die Aussage zur zukünftigen vollständigen Fallüberprüfung bezieht sich hier auf den Ermittlungskomplex Göhrde. Voraussetzung dafür ist, dass alle vorhandenen Ermittlungsspuren dabei vollumfänglich kriminalistisch und forensisch überprüft worden sind. Die Person Kurt-Werner Wichmann bleibt im Kontext von anderen Cold-Cases weiterhin im Fokus. Zudem werden Abgleiche kontinuierlich fortgeführt und Informationen mit anderen Dienststellen fallbezogen ausgetauscht."

Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob Wichmanns DNA in eine Zentraldatei eingestellt wurde, um jederzeit einen Abgleich zu ermöglichen. Gleiches gilt für Opfer und verschwundene Frauen. So fand die Wochenzeitung Die Zeit heraus, dass von den Frauen rund um Cuxhaven keine DNA-spuren gesichert wurden beziehungsweise werden konnten. Von Angehörigen wurden erst nach Medienberichten entsprechendes Material genommen.

Hatte die Polizei zunächst in einer internen Liste möglicher Wichmann-Opfer Gitta Schnieder aus Holm-Seppensen benannt, hatte sie zwischenzeitlich erklärt Wichmann komme eher nicht als Täter ins Visier, da es kein sexuelles Motiv gebe. Allerdings sagt das Psychogramm Wichmanns, er habe sich als Herr über Leben und Tod fühlen wollen. Darin liege sein "Kick". Das bedeutet nicht unbedingt eine direkte sexuelle Tat.

Die damals 45-Jährige Schieder wurde ebenfalls 1989 ermordet und bei Sprötze aufgefunden. Dieser Fall gehört denen, die die Cold-Case-Einheit bearbeitet und mit dem sie im Sommer vor drei Jahren an die Öffentlichkeit ging. Was ist herausgekommen? "Derzeit (werden) keine Einzelheiten zu Erkenntnissen bekannt gegeben, um die Ermittlungen nicht zu gefährden."

Sieben Fälle bearbeitet die Cold Case-Truppe, die mit sechs Beamten besetzt ist, lässt sie wissen. Welche das sind, behält sie für sich. Dabei wäre es interessant zu erfahren, ob es Verbindungen zu Wichmann und seinem möglichen Mittäter geben könnte. Schließlich arbeitet die Polizei nicht für sich, sondern für die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit könnte Hinweise geben.

Das erleben Reinhard Chedor und seine Gruppe ständig, deren Vorgehen von Lüneburg aktuell begleitet wird. Nachdem Chedor vergangenes Jahr in der ARD über seine Arbeit berichtete, gingen Dutzende Hinweise bei ihm ein -- und damit Hinweise, wo Wichmann zugeschlagen haben könnte. Die Cold Case Einheit scheint das nicht zu interessieren. Intensive Gespräche mit Chedor führt sie nicht.

Will die Polizeidirektion nach knapp neun Jahren Ermittlungen zum Stand ihrer Arbeit informieren? Gibt es eine Pressekonferenz? Nein, heißt es, "ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht geplant." Carlo Eggeling

© Fotos: Privat / ca


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