Wie es daneben geht
von Carlo Eggeling am 01.02.2025Meine Woche
Verzockt
Man muss positiv bleiben. In dieser Woche haben wir gelernt, Friedrich Merz kann Porzellan zerdeppern. Damit ermöglicht uns der Kanzlerkandidat der CDU eine Perspektive. Sehr impulsgesteuert hat er das Thema Zuwanderung so früh zum Thema gemacht, dass es ihm um die Ohren geflogen ist. Sollte er Regierungschef werden und mit anderen Staatenlenkern sowie mit heimischen Koalitionspartnern verhandeln, kann dem Mann das Temperament durchgehen, das verheißt nichts Gutes. Seine Maxime des Pokertischs, „All in“, endet mit leeren Taschen.
Er hätte markige Ansagen machen können mit der Aussicht, als Kanzler werde er die Zuwanderung schon regeln, nach der Wahl könne er losgelegen. Vielleicht kann er dann tatsächlich neue Wege gehen, ob die besser sind, wird sich zeigen.
So lief es mehr als bescheiden. Die Unterstützung der AfD zu nutzen, hat in seiner Partei eine scharfe Debatte ausgelöst. Alt-Kanzlerin Merkel hat ihm seine eigenen Worte aus dem November vorgehalten, mit der AfD könne man nicht zusammenarbeiten.
Zwei Monate später die Kehrtwende, zu der Angela Merkel sagt: "Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen." So schlimm Merz seine Vorgängerin auch findet, die ihn mal zur Seite geschoben hat, sie besitzt eine Menge Anhänger in ihrer Partei. Auf die wirkt Merz – obendrein mit einem Misserfolg – wie ein Spaltpilz. Mitten im Wahlkampf.
Mit wem kann er nach dem 23. Februar koalieren? SPD oder Grüne sind denkbare Partner. Die bringt er gegen sich auf. All das vor historischer Kulisse. Der Bundestag gedenkt der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren, kurz drauf nimmt Merz die Unterstützung von denen an, die den Nationalsozialismus irgendwie nicht so schlimm finden, ein "Vogelschiss in über tausend Jahren deutscher Geschichte", wie es es der AfD-Grande Alexander Gauland nannte.
Ich stelle mir zudem vor, die Sozialdemokraten befragen bei einer möglichen Koalition mit den Schwarzen ihre Mitglieder, was sie davon halten. Ob dem einen oder anderen alten Genossen der 24. März 1933 einfällt? Der Tag, an dem der Reichstag das Ermächtigungsgesetz verabschiedet hatte und Adolf Hitler quasi zum Diktator ausrief. Mit Zustimmung des katholischen Zentrums, wenn man so will, einem Vorläufer der CDU. Die einzigen, die Nein sagten, waren die Sozialdemokraten. Kommunisten waren geflohen oder von den Nazis eingesperrt worden. Natürlich, wir leben in anderen Zeiten. Aber wir sollten unsere Geschichte und die Verantwortung nicht vergessen, die daraus folgt.
Am Ende spielt Merz der AfD noch in die Hände. Die „Alt- und System-Parteien haben es aus Sicht Irgendwie-anteilig-Rechtsextremisten gestern zum Gesetzesentwurf mit dem bürokratischen Titel Zuwanderungsbegrenzungsgesetz wieder vergeigt, eine Lösung in der Frage der Migration zu finden. Es erinnert an das Stück von Max Frisch aus dem Schulunterricht: Der naive Haarwasserproduzent Gottfried Biedermann lässt auf seinen Dachboden zwei Brandstifter mit Fässern voller Benzin einziehen. Feuer in der Hütte.
Kommen wir ins Lokale. Wie stellt sich die CDU hier auf? Wie stellen sich SPD, Grüne, Linke zur Union? Fordern sie klare Positionen? Oder ist Berlin weit weg? Für den AfD-Kreisverband nicht, der schlägt sich prustend lachend auf seiner Facebook-Seite auf die Schenkel: "Lieber CDU-Kreisverband, wir fühlen mit euch. Vom rotgrünen Bettvorleger über Nacht zur AfD light… Das ist echt hart. Wenn ihr Fragen habt oder jemanden zum Reden braucht, unser Sorgentelefon ist rund um die Uhr für euch erreichbar. Dann dürft ihr auch gleich weitere unserer Anträge abschreiben… Herzliche Grüße von eurer neuen Partnerpartei." Selbstverständlich hat sich die CDU schon vorher in Pressemitteilungen dagegen verwahrt, mit einer Partei gemeinsame Sache zu machen, in Teilen als rechtsextremistisch gilt.
Dass Thema Zuwanderung brennt, fast 70 Prozent der Bevölkerung finden, Deutschland möge weniger Flüchtlinge aufnehmen als bislang. Dieser Wert ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Die nächste Regierung hat gut zu tun. Erst einmal muss sie sich finden. Hoffentlich läuft es nicht wie in Österreich, da standen Neuwahlen an. Das Ergebnis ist bekannt, ziemlich rechts.
Bleibt die Hoffnung, dass Demokraten sich zum Beispiel heute an den Wahlkampfständen auf der Bäckerstraße an den Soziologen Max Weber erinnern, der vor reichlich hundert Jahren seinen Vortrag Politik als Beruf hielt: "Mit der bloßen, als noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer ,Sache‘, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht." Verantwortung für andere und Ziele verfolgen. „Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele." Hat was, Herr Merz. Gutes Wochenende. Carlo Eggeling
Kommentare
am 01.02.2025 um 14:34:46 Uhr
das "Ermächtigungsgesetz" (offiziell beschönigend: "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich") wurde schon am 23. März 1933 vom Reichstag beschlossen! Einen Tag später, am 24. März 1933, womit es in Kraft trat, wurde es im Reichsgesetzblatt (RGBl. I S. 141) verkündet.
Übrigens stimmte der damals bereits 49jährige Theodor Heuss, am 23. März 1933 zusammen mit den vier anderen Abgeordneten seiner Deutschen Staatspartei (DStP) – Hermann Dietrich, Heinrich Landahl, Ernst Lemmer und Reinhold Maier – im Reichstag, zu diesem Zeitpunkt in der Berliner Krolloper versammelt, dem Ermächtigungsgesetz zu.
Nach Gründung der Partei im Jahr 1948 war Heuss für knapp ein Jahr FDP-Vorsitzender. Von 1949 bis 1959 war er dann erster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.