Lüneburg, am Donnerstag den 14.08.2025

Wo die Erde in Bewegung ist — Anwohner in Sorge

von Carlo Eggeling am 12.08.2025


Der Stadt bläst der Wind ins Gesicht -- und das noch kräftiger, nachdem sie eine Baugenehmigung für ein Vorhaben am Schanzenweg erteilt hat. Die Nachbarn machen sich Sorgen, dass ihre Häuser leiden, wenn Baumaschinen rollen, eine zusätzliche Last auf den Boden drückt, all das nahe des Ochtmisser Kirchsteigs, an dem die Häuser sich immer weiter krumm und schief stellen. Mindestens ein Widerspruch ist in der Bauverwaltung eingegangen, er liegt LA vor. Ein Satz daraus: "Es geht hier nicht nur um Senkungen, sondern auch um seitliche Erdbewegungen und auch, wie beim Kalkberg zu sehen, um Ausdehnungen nach oben."

Die Causa liegt bereits vor Gericht. Schon gegen die Bauvoranfrage des Investors hatten Anwohner vor dem Verwaltungsgericht Rechtsmittel eingelegt. Darüber wurde noch nicht entschieden. Für September ist nun eine Verhandlung angesetzt. Es dürften mutmaßlich weitere Verfahren anstehen., denn die Sorgen sind groß. Eine schriftliche sowie mündliche Anfragen von LA hat der Investor seit Wochen nicht beantwortet.

Anwohner können auf Expertise setzen. Der Mainzer Geologe, Prof. Dr. Frank Sirocko, als gebürtiger Lüneburger bestens mit dem Untergrund vertraut, empfiehlt Vorsicht. Zum einen sei zu beobachten, dass "der Kalkberg weiter ansteigt", das wirke sich rund um den Gipshut aus. Zudem, sagt er, gelte es, darauf zu achten, dass durch einen Baukomplex eine gewaltige Last auf die Erde drücke, in deren Tiefe "poröses Salzgestein" liegen dürfte. Das könne nachgeben.

Wie berichtet, hatte die Stadt auf eine Anfrage von LA geantwortet, in der es zusammenfassend heißt, man beobachte die Lage, sehe aber keine dramatischen Veränderungen beispielsweise für das Grundwasser. Die Erdbewegungen für eine Tiefgarage hält man für machbar. Eine Anwohnerversammlung sei nicht geplant.

Dabei haben die Nachbarn eine Menge Fragen. Ein Thema aus dem Widerspruch, der Ende Juli an die Stadt ging: "Der Ochtmisser Kirchsteig wurde zu Vermeidung von Erschütterungen in eine 20 km/h Zone verwandelt und für die Durchfahrt von allen Kraftfahrzeugen größer 3,5 Tonnen gesperrt. Können Sie mir bitte einmal erläutern, warum diese Maßnahme durchgeführt wird? Nahezu jedes Haus im Schanzenweg, Vor dem Mönchsgarten, Vor dem neuen Tore und auch extrem in der Dörnbergstraße, also rund um das Gebietes des Bauvorhabens weisen Schäden wegen Erdbewegungen auf."

Den Anwohner erstaunt zudem, dass er keine komplette Einsicht in die Bauakte nehmen kann. Er möchte gemeinsam mit Fachleuten "Pläne für die Tiefgarage, Statik, Entwässerung, Bodengutachten" einsehen. Das werde ihm bisher verweigert.

Professor Sirocko, der mehrmals Stellung zu Senkungen in Lüneburg genommen hat, empfiehlt, ein halbes Jahr vor dem möglichen Baubeginn ein Raster von Messpunkten zu setzen, um zu sehen, ob und wie sich die Erde bewegt. Selbstverständlich müssten die Messungen während des Baus fortgesetzt werden.

Sirocko macht zwei Faktoren für den unruhigen Boden aus. Zum einen gebe es "natürliche Erdbewegungen", die hängen mit der Geologie des aufsteigenden Salzstocks und dem damit verbundenen Gips zusammen. Kalkberg ist als Begriff irreführend, über den Salz liegen Gips und dessen Spielarten. Der zweite Punkt sei die Soleentnahme für das SaLü. Einfach gesagt: Nehme man unten etwas weg, drücke es an anderen Stellen nach oben.

Diesen Aspekt weist der Geschäftsführer der Kurmittel GmbH, Dirk Günther, zurück: "Wir entnehmen Sole, aber weniger als wir laut Genehmigung dürften." Außerdem liege ein Gutachten des Landesbergbauamtes vor, das attestiere, zwischen dem Abpumpen des salzigen Wassers aus der Tiefe und den Senkungen bestehe kein Zusammenhang. Sirocko ist anderer Auffassung. Der Wissenschaftler würde eine Untersuchung empfehlen, möchte sich im nächsten Jahr wieder um das Thema kümmern und dafür auch das Netz der Messpunkte der Stadt auswerten.

Wie sich die Erde hebt beziehungsweise senkt, ist an verschiedenen Stellen zu sehen: Die Frommestraße hat sich um mehrere Meter nach unten bewegt. Am Ochtmisser Kirchsteig geht es -- je nach Niederschlag -- jährlich um mehr als 30 Zentimeter abwärts. Das ist in Messprotokollen nachzulesen, die den Anwohnern regelmäßig von der Stadt geschickt werden.

Aufgrund der Berichterstattung von LA haben sich Nachbarn gemeldet, um ihre Erfahrungen mitzuteilen. So schreibt ein Leser von der Garten- ehemals Hindenburgstraße, der in Höhe des Sonnenstudios wohnt: "Die Werte belegen für den meiner Wohnung nächstgelegenen Messpunkt 709 zwischen den Messungen 2022 und 2024 einen sprunghaften Anstieg der Senkung (45,7mm in 2 Jahren) gegenüber dem vorangegangenen Messungen seit Messbeginn (28,8mm in 22 Jahren)."

Es gibt einen Fall, der die Rechtsabteilung der Stadt lange beschäftigt hat. Anfang der 1990er Jahre wurde am Hellmannweg, also zwischen Am Kreideberg und Gartenstraße eine Anlage mit Eigentumswohnungen samt Tiefgarage errichtet. Der Bauherr hätte den Komplex in eine sogenannte Weiße Wanne stellen sollen, was er nicht tat. Dies bedeutete, es musste Grundwasser abgepumpt werden, ansonsten soffen die Stellplätze ab. Die Kehrseite: In der Nachbarschaft klagten die Bürger darüber, dass ihre Häuser Risse bekamen. Nach Jahren gab es eine Einigung.

Vor rund 15 Jahren ging eine Annahme davon aus, dass die Erde wie ein Schwamm reagiere: Bleibe das Grundwasser stehen, sauge sie sich voll. Pumpe man ab, drücke man sie sozusagen aus -- Senkungen. Ein altes Thema scheint sehr lebendig zu bleiben. Im Rathaus sitzen noch Mitarbeiter, die mit der Problematik von damals bestens vertraut sind. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare

Kommentar von Martin Lühmann
am 12.08.2025 um 18:35:24 Uhr
So ist es und es schlimm das in diesem sensiblen Bereich der B-Plan nicht überarbeitet wurde !
Kommentar von Joachim Ehret
am 13.08.2025 um 11:57:21 Uhr
Habe mir nochmals die Ausführungen von Prof.Dr.Sirocko durchgelesen. Wieso schenken die im Bauamt verantwortlichen Mitarbeiter ihm keine Beachtung?
Um es einfach zu formulieren: Salz und Gips sind nun mal wasserlösliche Mineralien. Durch den Klimawandel wird es zukünftig vermehrt zu Starkregen kommen, was die Auswaschung des Salzstocks beschleunigt und diesen immer poröser werden läßt. Auf diesem instabilen Untergrund eine Baugenehmigung für tonnenschwere Gebäude zu erteilen ist unverantwortlich.
Kommentar von A. Wildung
am 13.08.2025 um 15:34:21 Uhr
Wie kann es sein, dass so ein wunderschönes Haus, wie das am Anfang des Schanzenweges, nicht unter Denkmalschutz steht! Es wird so viel gebaut, dass ich mich langsam um den Charme der Stadt sorge! Gerade wenn ein so schöner Altbau zugunsten eines Betonklotzes abgerissen wird. Wo grün ist, wird also Beton sein....aber vielleicht haben wir ja Glück und das Senkgebiet verschluckt den Neubau in Form eines monströsen Kreuzfahrtschiffes...


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