Zu den Möhren gibt es einen Segen — der Pastor auf dem Markt
von Carlo Eggeling am 13.05.2025Möhren, Salat, Kräuter. Alles liegt im Korb. Dann kommt die Frage, mit der man auf dem Markt nicht rechnet: "Was tust du dir jetzt Gutes?" Für Jürgen Pommerien ist das keine Floskel. "Nach Hause, kochen." Das reicht Pommerien nicht, noch einmal: "Was tust du dir Gutes?" Der 70-Jährige meint etwas anderes als Alltag: ins Café gehen, im Kino einen Film ansehen, einen Spaziergang. Seine Kunden bekommen mehr als Obst und Gemüse, Seelsorge. Er hat bis zu seinem Ruhestand als Pastor gearbeitet, das bleibt.
Er gehört zur kleinen Mannschaft um Elke Wilkens, deren Familie seit Jahrzehnten ihre Waren vom Feld vor dem Rathaus anbietet. Bardowicker Gemüse-Bauern. Sie sagt: "Die Kunden mögen Jürgen." Seine zugewandte Art, ein bisschen Klönen. Er schenke stets ein bisschen Lebensmut und ein Lächeln; gute Laune.
Für Pommerien, den viele als Pastor aus Bardowick und später als Seelsorger aus den Krankenhäusern Winsen und Buchholz kennen, ist es eine Art Rückkehr. "Ich bin mit der Nase in der Furche groß geworden", erzählt er bei einem Kaffee. Seine Großeltern und Eltern bewirtschafteten einen Hof in Nettelkamp, ein Stück hinter Uelzen. Das hatte keine Zukunft. Dazu kam das Leben -- der Weg führte aus dem Dorf auf die Kanzel.
Das Leben. Es sei ein langer Streit und die Versöhnung mit dem Vater gewesen. Der war als "kriegsversehrt" aus dem Zweiten Weltkriegs zurückgekehrt. Die zwölf Jahre Diktatur und die Schlachtfelder wurden zu Hause anders empfunden als in der Schule wurde, wo ein engagierter Lehrer die Nazi-Zeit so fürchterlich beschrieb wie sie war. Konzentrationslager, Millionen Tote. Wie im ganzen Land harte Diskussionen -- dazu aber den Rückhalt des Vaters, einen anderen Weg gehen zu können.
Noch etwas nervte ihn und trieb ihn an: "Ein Konfirmandenunterricht, nach dem man aus der Kirche austreten wollte". Das müsste anders gehen. Denn schließlich war da Jesus und eine Wärme: "Da ist einer, der dich nicht aufgibt, auch wenn du den Chef nicht verstehst".
Der Chef. Da stellt sich die Frage, wie kann Gott die viele Ungerechtigkeit in der Welt zulassen? Kriege, Hunger, Unterdrückung? Na ja, und auch für einen selbst läuft es manchmal ziemlich bescheiden. Da kann man verzweifeln an allem und an sich selbst. Da hilft Jesus, Zuversicht.
1991 kommt Pommerien als Geistlicher nach Bardowick. Kirche muss mehr sein als die Kirche. Der Pastor arbeitet beim Bauern mit, packt auf dem Acker mit an, an der Wurzelsortiermaschine. "Bei der Arbeit sind wir so, wie wir wirklich sind", sagt der Pfarrer mit leuchtenden Augen. Angekommen sei der Fremde, wenn er nicht wie ein Besucher durch die Haustür gehe, sondern über den Hof und durch die Küchentür. Hat der Pfarrer geschafft. Er blieb bis 2003 in Bardowick. Dann kamen die Krankenhäuser und der Umzug nach Winsen.
"Dem Markt in Lüneburg bin ich immer treu geblieben, seit Jahrzehnten", sagt er. Samstag vor dem Rathaus einkaufen, sei Teil seines Lebens. Er brauchte das. Auf den Intensiv- und Palliativstationen "ist es unvermeidlich, jeden Tag mit dem Tod zu tanzen". Aber das habe er gekannt, weil er in Bardowick regelmäßig Patienten im Hospiz besucht habe.
Eigentlich klingt so ein Satz nach Pathos, aber nicht bei Pommerien, der lacht, um die Schwere und das Bedeutungsschwangere zu nehmen. Von der Palliativstation führe selten ein Weg zurück ins Leben. Wer dort versorgt werde, wisse das, die Angehörigen auch. Er habe zu Hause gesessen und sich hilflos gefühlt, um dann zu verstehen: "Es ist gut, dass ich da bin, für den anderen, aber auch für mich. Das nimmt dem Tod etwas seine Allmacht." Sich zu erinnern, was gut war im Leben, was weniger, was hat Spaß gemacht? Das Reden mache es leichter. Vor allem für die, die bleiben.
So rund, so sanft, wie alles klingt, ist Pommerien nicht. Manchmal sei da ein großer Ärger. Die Sache mit dem himmlischen Chef, den er nicht immer verstehe, grummelt dann. Er lacht wieder und verweist auf Jesus, der das Ganze mildert: "Der gibt dich nie auf." Das schenkt Zuversicht.
Doch es geht praktischer, sein Ausgleich: "Garten umgraben, Kisten auf dem Markt schleppen." Der Markt. Bei Elke Wilkens, die er so lange kennt, sei er mal eingesprungen, als jemand fehlte. Daraus wurde ein Job, jetzt packt er samstags meistens von 8 bis 14.30 Uhr mit an. Wieder ein Lachen: "Da habe ich die Nase wieder in der Furche, ich bin angekommen, wo ich herkomme."
Letzte Frage: "Was tust du dir Gutes?" Er klopft auf seinen Leinenbeutel: "Da ist Kaffee aus der Lüneburger Rösterei Ratzsch drin. Teuer, aber so lecker. Den brühe ich morgens langsam, dann beginnt der Tag." Klingt entspannt. Vielleicht hilft es bei der "Seelsorge am Marktstand". Wir lachen beide. Carlo Eggeling
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