Lüneburg, am Samstag den 02.08.2025

Zupacken für den Rechtsstaat

von Carlo Eggeling am 01.11.2023


Die Aggression nimmt zu. Bei den Polizisten, beim Gegenüber. Die Beamten in Schwarz, Helm auf dem Kopf, das Visier nach unten gezogen wirken bedrohlich. Das soll so sein. Es geht um Äußerlichkeiten. Die anderen, im Jargon der Polizei "Störer", johlen, schubsen. Es hilft am Ende nichts. Die Staatsmacht zeigt ihre Macht, packt zu, zieht einen Mann aus der Menge. Attacken wehren die Beamten ab, im Zweifel mit einem Schlagstock und Pfefferspray. Was an Szenen bei Demonstrationen oder Krawallen bei Fußballspielen erinnert, läuft auf dem Hof der Bereitschaftspolizei, die Übung Zugriff in einer Menschenmenge.

Thomas "Tom" Illgner ist Chef der vierten Einsatzhundertschaft der Landesbereitschaftspolizei Niedersachsen. Gerade nimmt er in seinen Reihen Kollegen auf, die nach ihrer Ausbildung an der Polizeiakademie in die Praxis wechseln. "30 sind gegangen, wir haben nun 37 Neue." Die meisten bleiben rund zwei Jahre hier, bevor sie in anderen "Verwendungen" arbeiten, auf einer Wache, zur Kripo, zu einer Spezialeinheit oder sie bleiben hier.

Rund 1100 Männer und Frauen arbeiten in den sieben BePo-Einheiten des Landes, sie sind neben der Zentrale in Hannover bei den jeweiligen Polizeidirektionen also etwa in Göttingen und Oldenburg stationiert. Sie rücken aus bei sogenannten Großlagen, unterstützen bei Suchaktionen und auf Anforderung im Einzeldienst auf den jeweiligen Stationen. In Lüneburg laufen sie zum Beispiel mit Streife, wenn Kontrollen der Drogenszene anstehen.

Die Beamten wollen namentlich nicht erwähnt werden. Sie haben erlebt, dass Kollegen angegangen wurden. Zudem wollen manche in andere Bereiche wechseln, in denen sie auch verdeckt ermitteln.

An diesem Vormittag trainieren die Polizisten das Zugriffs-Szenario immer wieder. Vier-, fünf-, sechs- und siebenmal. Jetzt sind die anderen die Störer. Wieder das gleiche Spiel. Die Anspannung steigt, auch weil die Kräfte nachlassen. Zwanzig Kilo wiegen Ausrüstung und Schutzkleidung, zum Warmwerden gab's vorab einen 800-Meter-Lauf. Stoßen, anbrüllen, in aufgeregte Gesichter blicken -- das zerrt an den Nerven. Dennis, seit 13 Jahren dabei, leitet die Übung. Er weiß, was seine Kollegen durchmachen, auf beiden Seiten erleben.

Ein Trupp sind die "Störer", in ihrer Mitte einer, der als Rädelsführer gilt. Den sollen die anderen aus der Gruppe fischen. Im Dauerlauf rennen sie in die Menge, die um sich schlägt. Zwei Polizisten packen die "Zielperson", andere bilden einen Kreis um die Festnahme, brüllen immer wieder: "Polizei, zurück!" Blocken Befreiungsversuche ab, ziehen "ihren Mann" aus dem Kessel. Einige müssen rückwärts trippeln, dabei eng zusammenbleiben, rechts und links im Blick haben, sich absichern.

Die "Alten" wie Dennis geben danach Hinweise, was besser laufen sollte. Ganz klar ist dabei immer: "Eigensicherung." Und: "Von uns bleibt keiner zurück." Dennis sagt: "Mich fasst keiner an, da ist die Grenze." Denn es kann gefährlich werden, wenn eine aufgebrachte Menge auf die Beamten losgeht. In Berlin hätten sie das bei Ausschreitungen erlebt, sagt Dennis Kollege, der Ausbilder Daniel: "Da lag einer von uns am Boden, es wurde versucht, auf ihn einzutreten." Also im Zweifel eher in eine Boxkampfstellung gehen oder zutreten, wenn es gar nicht anders geht. Bedrohlich wirken, schreien, schneller sein -- all das habe eine Wirkung. Das Überraschungsmoment nutzen: An der Gruppe scheinbar vorbeilaufen, um dann einen Haken zu schlagen.

Dennis sagt: "Was wir hier üben, ist High end." Denn vorher versuche die Polizei zu reden, gibt Warnhinweise, dass man nun vorgehe. Bei Fußballspielen gehen beispielsweise "szenekundige Beamte" zu aufgeheizten Fans und versuchen zu deeskalieren. Doch das klappt nicht immer.

"Es ist nicht jedes Mal die Schlacht um Helms Klamm", sagt Dennis in Anspielung auf die Saga Herr der Ringe. Die meisten Veranstaltungen verliefen friedlich. Das ist bei 90 bis 95 Prozent so. "Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es grundsätzlich aggressiver wird." Doch es könne eben auch im Nu kippen: "Wir sitzen und stehen fünf Stunden rum, dann geht es los. Das Adrenalin geht hoch, und wir sind drei, vier Stunden durchgehend gefordert." Wird es besonders heftig wie jetzt bei Krawallen um die Auseinandersetzungen in Israel, landen entsprechende Bilder in den Nachrichten.

Doch was hilft, um ruhig zu bleiben? "Körperliche Fitness macht gelassener. Wenn ich Puste habe, halte ich es besser aus. Dazu kommt Erfahrung", sagt Dennis. Heißsporne finden sie hier nicht gut: "Es gibt wie wie überall Kollegen, die schneller zupacken als andere. Aber Hemmungen sind eher gut, denn dann sehen wir nicht die Bilder, die wir nicht sehen wollen."

Drei Wochen dauert die "Begrüßung" der Neuen, bevor sie mitten drin sind. Festnahmetechniken, taktisches Vorgehen, Kontrollen, aber auch Rechtskunde und der Umgang mit der Presse stehen auf dem Programm. Die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf, Polizisten stünden politisch eher rechts, würden bei Menschen, die zugewandert sind, eher zupacken. Dem versuchen die Ausbilder durch ihr Programm entgegenzuwirken.

Chef Illgner und seine Kollegen setzen bewusst dagegen. Jedes Jahr steht unter anderem ein Tag der Demokratie auf dem Agenda, Vorträge und Sport. Vor zwei Jahren haben sie bei einem Lauf 3300 Euro an Spendengeld zusammenbekommen, den Beitrag haben sie der Geschichtswerkstatt gespendet, die hat mit der Summe gerade neue Stolpersteine in Lüneburg setzen lassen, die an das Schicksal von Opfern des Nationalsozialismus erinnert, Menschen die Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Idee sei aus der Mannschaft gekommen, sagt Illgner, ein Bekenntnis zu Demokratien und ihren Werten.

Schon früher haben Illgner und seine Kollegen erklärt, welche Aufgabe sie haben. Sie stehen dazwischen: Bei Demonstrationen haben Menschen das selbstverständliche Recht, für ihre Meinung einzutreten. Es sei nicht Aufgabe der Polizei, für oder gegen etwas zu sein. Sie ermögliche dieses Recht. Ist eine Demonstration angemeldet, müsse die Polizei sie entsprechend schützen, auch wenn der einzelne Beamte dazu eine persönliche, auch konträre Meinung habe -- oft genug stehen die Polizisten dann zwischen unterschiedlichen Lagern.

Zu erleben war das bei den Castor-Protesten im Wendland. Viele Beamte sahen die Kernkraft kritisch, gleichzeitig mussten sie durchsetzen, dass die Atommüllbehälter ins Zwischenlager nach Gorleben kamen. Die damalige Politik basierte auf entsprechenden politischen Beschlüssen. Klar war den Einsatzkräften immer: "Das ist unsere Aufgabe.

Ausbilder Dennis und seine Kollegen werden wieder bei Fußballspielen, Demos oder Drogenkontrollen dabei sein. Je besser sie ausgebildet sind, desto sicherer leben die Menschen. Darauf legen sie hier wert. Aber sie wissen auch, auf Polizei kann man kritisch gucken. Gehört zu den Regeln in einer Demokratie.

+++ Doch warum gehen junge Leute zur Polizei? Davon ein großer Teil, der weit weg von Lüneburg wohnt und nun an der Ilmenaus Dienst schiebt?

> "Polizei ist abwechslungsreich, zudem mache ich viel Sport, das geht gut zusammen. Und natürlich geht es darum, anderen zu helfen", sagt ein 23-Jähriger aus Zeven. "Ich habe es unterschiedlich erlebt, Ältere gehen respektvoll mit uns um, andere beäugen und kritisch." Im Moment pendle er von zu Hause zum Dienst: "Vorher war ich an der Akademie in Oldenburg, das ging auch." Zwei Gründe: "Ich bin gerade mit meiner Freundin zusammengezogen, und ich spiele zu Hause Fußball."

> Eine 24-Jährige sagt: Ich habe erst Französisch studiert, das hat mir nicht gefallen. Hier ist es abwechslungsreich, bei der Polizei kann man später viel machen. Und es ist kein Job von 8 bis 18 Uhr, das könnte ich mir nicht vorstellen. Mir gefällt die Kameradschaft. Wir lernen uns hier neu kennen, 30, 40 junge Leute. Wir müssen eng miteinander arbeiten, auch körperlich. Das verbindet." Zu Hause ist sie eigentlich in Buxtehude: "Aber ich wollte raus und habe mir in Lüneburg eine Wohnung genommen."

> Sport, helfen, junge Leute, die Mischung lieferte für einen 24-Jährigen die Motivation zur Polizei zu gehen. "Wir sind ein junges Team, wir kommen vor allem in Niedersachsen rum. Es gab für mich nichts anderes als Polizei." Man wachse schnell zusammen: "Vor drei Wochen kannte ich drei Leute hier, jetzt sind wir ein Team, da hilft man sich gegenseitig." Das Spektrum der Möglichkeiten ist groß: "Vom Streifendienst bis zum Pilot bei der Hubschrauber-Einheit." Er sei nach Lüneburg gezogen: "Meine Freundin studiert hier." Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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