Lüneburg, am Montag den 27.10.2025

Zwei tote Frauen in einer Nacht — Verbindung zu den Göhrde-Morde

von Carlo Eggeling am 24.10.2025


Zwei Morde in einer Nacht: einer in Bremerhaven, ein zweiter in Bremen. Zwei Frauen, die offenbar nichts miteinander zu tun haben, erschossen mit derselben Waffe, einer belgischen Pistole FN Browning Modell 1910 oder 10/22, Kaliber 7,65. Rätselhaft, letztlich ungeklärt. Doch es gibt einen Ansatz, der nach Lüneburg deutet. Auf Kurt Werner Wichmann, der im Sommer 1989 Birgit Meier aus Brietlingen-Moorburg getötet sowie die Göhrde-Morde an zwei Paaren begangen haben soll.

Die Verbindung sieht Klaus Harjes, der ehemalige Bremerhavener Polizist hat den Doppelmord bereits 1999 als so genannten Cold Case bearbeitet. Damals legte er eine Spurenakte an und notierte: Sollte der Göhrde-Mörder je gefasst werden, könnte er auch für diese Taten infrage kommen. Seine Überlegungen hat er im August 2021 in einem 21-seitigen Schreiben an die Behörden gesandt. Bei der Staatsanwaltschaft Bremen soll der Bericht nicht mehr zu finden sein.

Rückblende. Am 4. September 1991 beendet Bärbel Barnkow ihren Arbeitstag in einer Klinik in Bremerhaven gegen 20.30 Uhr. Die Krankenschwester ist mit Verwandten verabredet. Doch zu diesem Treffen kommt es nicht mehr, sie wird auf dem Parkplatz in ihrem Auto gefunden. Schwerst verletzt auf dem Beifahrersitz. Ein Unbekannter hat ihr in den Kopf geschossen. Ärzte kämpfen um ihr Leben. Vergeblich. 40 Stunden später stirbt sie.

Ein paar Stunden später in Bremen. 5. September 1991, 1.30 Uhr, Parkplatz am Arbeitsamt. Ingrid Remmers kommt von ihrem Geliebten aus Nienburg, sie will nach Hause zu Mann und Sohn. Der Ehemann weiß von der Liaison. Mit ihrem Freund hat sie ein Telefonsignal vereinbart, auf einer Telefonzelle ruft sie ihn. Statt dreimal, klingelt es fünfmal. Der Mann geht nicht ran. Fünfmal, ungewöhnlich, sagt der später der Polizei. Er habe sie nicht erreichen können -- es ist eine Zeit vor dem Handy.

Wahrscheinlich bemerkt die 40-Jährige, dass sie in Gefahr ist. Kurz darauf ist sie tot. Angehörige finden sie in ihrem Renault Fuego. Auf den Rücksitz gelegt, Gesicht nach unten, Hände auf dem Rücken gefesselt, eingewickelt in eine Decke. Eine Kugel traf sie an der linke Seite des Kopfes. Schnell stellt sich heraus, die Taten hängen zusammen. Tatortermittler finden die Scheckkarte Bärbel Barnkows bei Ingrid Remmers.
Fragen über Fragen ohne Antwort. Im Auto Bärbels Barnkows findet die Polizei eine rote Daunenjacke, die ihr aber nicht gehört.

Eine zweite Jacke liegt in Bremerhaven am Geestemünder Friedhof, daran das Blut der Krankenschwester und Schmauchspuren. Jacken? Wer trägt Skijacken an milden Septembertagen. Friedhofsarbeiter entdecken geraume Zeit später auf dem örtlichenFriedhof die Brieftasche der 45-Jährigen.

Hoher Druck. Doppelmord. Zeitungen, Fernsehen. Ein Fall, der weit über die Grenzen der Region Wellen schlägt. Naheliegend wäre, beide Fälle gemeinsam zu bearbeiten, dieselbe Waffe, derselbe Täter, Tatort dasselbe Bundesland. Doch aus historischen Gründen ermittelt in Bremerhaven eine eigene Kripo und in Bremen auch. Das grausame Schicksal schlägt so absurde Kapriolen.

Schnell soll ein Täter her. Bremerhaven präsentiert Frank D., 20 Jahre alt, notorischer Autodieb, er hatte am 4. September 1991 in der Küstenstadt einen Audi 80 gestohlen, der später in Nienburg steht, nahe Ingrid Remmers‘ letztem Aufenthaltsort vor ihrem Tod. Die Polizei macht Druck und nochmal Druck -- Frank D. gesteht beide Morde. Zehn Stunden später widerruft er sein Geständnis -- noch bevor ihn die Polizei als Täter präsentiert. Denn das tut sie mit großem Tamtam.

Absurd ist es immer wieder. D. behauptet, Bärbel Barnkows Handtasche auf der Autobahn aus dem Fenster geworfen zu haben – sie lag nahe des Tatorts in einem Garten. Weitere Ungereimtheiten. 1992 stellen die Behörden die Ermittlungen gegen D. ein. Polizei hält ihn aber weiter für verdächtig.

Bremen. Dort gerät Ehemann Remmers ins Visier. Erst einmal naheliegend. Beziehungsprobleme, ein anderer Mann im Leben seiner Frau. Eifersucht? Er weiß von dem Verhältnis und hatte mit seiner Frau wegen des gemeinsamen Kindes eine Vereinbarung getroffen.

Fragen. Warum sollte er in Bremerhaven ein zweites Mal zuschlagen? Wie hätte er das machen sollen? Er hatte seinen kleinen Sohn zu Hause, sah mit ihm fern. Der Weg, knapp eine Stunde hin, eine zurück, die Tat, das Verscharren der Gegenstände. Dazu eine enorme Kaltblütigkeit. Bei einem Mann, der nicht als kriminell bekannt ist?

Es wird wieder absurd. Die Polizei meint, es sei eine Verdeckungstat gewesen. Vorbild soll ein Tatort-Krimi mit dem Titel "Rot Rot Tot" gewesen sein, der 1978 lief und mehrmals wiederholt wurde. Der Bösewicht bringt zwei Frauen um, bevor er seine untreue Gattin meuchelt. Fernsehen und in der Folge selbst schießen. Wie realistisch ist das? Und wie geht bekommen es Ermittler zusammen, für den Doppelmord in Bremerhaven und Bremen unterschiedliche Täter zu präsentieren?

Alles Jahrzehnte her. Die Kinder Bärbel Barnkows lässt der Tod ihrer Mutter nicht ruhen. Frank Barnkow und seine Schwester Susanne König sind bei mehreren Gesprächen noch immer aufgewühlt. Sie erzählen, wie oft sie sich an die Medien gewandt haben, an die Polizei. Über Jahre.

Sie haben den Hamburger Rechtsanwalt Mirko Laudon eingeschaltet, einen Spezialisten für Strafrecht. Er mahnt jetzt wiederholt an, dass die zur Verfügung gestellten Akten unvollständig zu sein scheinen. Was er unter anderem vermisst, ist ein Bericht des pensionierten Kriminalhauptkommissars Klaus Harjes. Dessen 21-Seiten-Einschätzung aus dem August 2021. Hat der Bericht nicht den Weg in die Akten gefunden? Bei der Staatsanwaltschaft ist die Akte wohl angekommen, doch mittlerweile nicht mehr auffindbar.

Klaus Harjes bekommt den Fall 1999 als Cold Case auf den Tisch. Ihm fallen die Widersprüche auf. Der Kommissar aus Bremerhaven glaubt keiner der beiden Varianten, die seine Kollegen vorlegen. Er sagt, es werde kaum berücksichtigt, dass es Taten scheinbar ohne Motiv gibt, Morde, die keine Beziehungstat sind. Beziehung meint, dass Täter und Opfer sich in irgendeiner Weise kennen.

Harjes geht davon aus, es handle "sich um sexuell motivierte Tötungsdelikte eines Täters, der sexuelle Bedürfnisse mit nicht sexuellen Handlungen befriedigt". Das sei häufig die Motivlage von "Serienmördern", im Gegensatz zu Tätern, "die ein sexuelles Bedürfnis mit einer sexuellen Handlung befriedigen".

Seine Idee: Die Morde an Bärbel Barnkow und Ingrid Remmers geschahen aus der Lust am Töten, aus der Lust, Herrscher über Leben und Tod zu sein. Er weiß von den Göhrde-Morden und sieht Parallelen. Im Sommer 1989 bringt ein Unbekannter kurz nacheinander zwei Paare um. Scheinbar grundlos. Von einer Verbindung Wichmanns in die Göhrde ist 1999 nichts bekannt. Harjes notiert damals, sollte der Göhrde-Mörder jemals ermittelt werden, sollte man eine Verbindung zu Barnkow/Remmers prüfen.

Die Autos der beiden ermordeten Paare aus dem Wald an der Kreisgrenze zwischen Lüneburg und Lüchow-Dannenberg werden später in Winsen und Bad Bevensen gefunden. Lange Jahre später ergibt neue Analysetechnik Hinweise auf Kurt Werner Wichmann, seine DNA haftet an einem Sitze der Wagen. Und: Mit höchster Wahrscheinlichkeit ist Wichmann der Mörder Birgit Meiers aus Brietlingen-Moorburg, sie verschwand im Sommer 1989, erst 2017 werden ihre Überreste unter Wichmanns Garage gefunden. Wichmann selber nimmt sich 1993 das Leben.

Heute fordert Harjes, „alle Spurenträger vor dem Hintergrund einer möglichen Täterschaft Wichmanns auszuwerten“. Die Fragezeichen tanzen nur so. Neben der DNA Wichmanns entdeckt die Polizei in den Wagen der Göhrde-Opfer Hundehaare. Von Wichmann ist bekannt, dass er Hunde hielt, so besaß er einen Schäferhund mit dem Namen Rex. Die Polizei sicherte Hundehaare in den Fällen Ingrid Remmers und Bärbel Barnkow. Ein Experte des Bundeskriminalamtes schloss bei Untersuchungen nicht aus, dass sie von einem Schäferhund stammen könnten. Die beiden getöteten Frauen besaßen keine Hunde, auch in ihrem Umfeld soll es keine gegeben haben. Findet sich hier eine Verbindung zwischen der Göhrde und Barnkow/Remmers? Heute wäre ein DNA-Vergleich möglich.

Fragen liegen nahe: Befinden sich die Hundehaare noch in den Asservaten? Denn angeblich sollen zwei der wichtigsten Asservate, die beiden zum Täter gehörenden Jacken, abhanden gekommen sein. Wo? Bei der Polizei, bei einer Überprüfung in einem Rechtsinstitut?

Noch einmal DNA. Nach Recherchen von Lüneburg aktuell soll Wichmann nicht als "Spurenleger" überprüft worden sein. Auch soll sich seine DNA nicht in der bundesweiten DNA-Analysedatei DAD finden. Das mutet eigen an, denn so gebe es keinen automatischen Abgleich, sagen Mordermittler. Sollte eine Polizeidienststelle entsprechendes Material gesichert haben, müsste sie sich an die Lüneburger Cold-Case-Einheit wenden, um die Formel anzufordern. Irritierend, denn nach einer Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamtes könnte Wichmann bundesweit im hohen zweistelligen Bereich Gewalttaten begangen haben.

Mögliche Tatorte lagen im Großraum Karlsruhe. Dort lebte Wichmann Mitte der 1970er Jahre. Ebenso wie ein Mann aus seinem engsten Umfeld, dieselbe Adresse. Das ist über Melderegisterauszüge belegt, die Lüneburg aktuell einsehen konnte. Auch dort gibt es eine Mordserie.

Eine weiter betrifft den Landstrich zwischen Cuxhaven und Bremerhaven, mindestens sechs Frauen verschwanden spurlos. Weitere werden getötet. Wichmann kannte die Gegend. Ausflüge, Verwandte. Er hatte 1970 als Auslieferungsfahrer für ein Lüneburger Unternehmen gearbeitet, das bis nach Cuxhaven Waren verschickte.

In Lüneburg ermittelt seit bald neun Jahren eine Einheit in Sachen Göhrde-Morde und Wichmann. Wie berichtet, nahmen Ermittler kürzlich in einer ZDF-Dokumentation Stellung. Dort entstand der Eindruck, man könne die Akten bald schließen. Und so gar noch einen Mann zur Verantwortung ziehen: Wichmann soll in der Göhrde einen Mittäter gehabt haben -- er musste in das abgelegene Waldgebiet kommen, im Anschluss fuhr er in den Autos der Opfer davon.

Beihilfe zum Mord verjährt nicht, der Komplize müsste damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden. Indizien führten in eine bestimmte Richtung, heißt es in der ZDF-Doku. Das ist nicht neu, jemand aus Wichmanns engstem Umfeld gilt als verdächtig, er wurde 2017, nach dem Fund Birgit Meiers auf Wichmanns Grundstück, erkennungsdienstlich behandelt, DNA-Proben wurden genommen.

Mehr wolle man nicht sagen, antwortet die Polizeidirektion auf Anfrage von Lüneburg aktuell, aus "ermittlungstaktischen Gründen". Die führt die Polizei gern an, wenn sie wenig hat oder eben nicht Stellung beziehen will. Denn welche Gründe das sein sollen, liegt im Dunkeln, der Verdächtige weiß ja, dass die Polizei ihn im Visier hat. Einen DNA-Treffer dürfte es noch nicht geben haben -- sonst hätte die Polizei den Mann sicher festgenommen.

Hinterbliebene warten auf Antworten. Nicht die nur Kinder Bärbel Barnkows, auch die der Göhrde-Opfer, die Eltern und Geschwister der verschwundenen Mädchen aus dem Cuxland, aus Karlsruhe. Mord verjährt nicht. Die Polizei dürfte einiges zu tun haben. Carlo Eggeling und Christian Döscher

Lüneburg aktuell-Reporter Carlo Eggeling ist wie sein Bremerhavener Kollege Christian Döscher Mitglied eines Recherche-Teams zum Thema Wichmann. Auf der Internet-Seite Mordserie mordserie.de/ermittlungsinitiative/ stellt die Gruppe sich und ihre Arbeit vor.

In Kurzform die Zusammenhänge zwischen den Göhrde-Morden und den Morden Barnkow/Remmers:

• Zeitliche Nähe: Beide Mordserien ereigneten sich im Abstand von nur zwei Jahren im selben geografischen Raum in Norddeutschland. Wie bei den Göhrde-Morden wurden auch hier zwei Taten innerhalb weniger Stunden begangen.
• Räumliche Nähe: Bremerhaven liegt ca. 120 Kilometer nordwestlich von Lüneburg, der Operationsbasis von Kurt-Werner Wichmann.
• Präzise Tötungsmethode: Die Göhrde-Mordopfer wurden wie auch Bärbel Barnkow sowie Ingrid Remmers durch gezielte Kopfschüsse getötet, allerdings nicht mit derselben Waffe.
• Keine Vergewaltigung: Obwohl beide Mordserien Frauen betrafen, zeigten die Leichen keine Anzeichen sexueller Gewalt – ein Muster, das auch für Kurt-Werner Wichmann charakteristisch war.
• Spurenarmut: Beide Tatserien hinterließen erstaunlich wenige verwertbare Spuren, was auf einen sehr erfahrenen sowie methodisch agierenden Täter hindeutet.
• Hundehaare: In den Göhrde-Fahrzeugen und denen dieses Doppelmordes wurden jedoch Hundehaare sichergestellt, die keinem Tier zugeordnet werden konnten, zu denen die Familien Kontakt hatten. Im Fall Barnkow ging ein BKA-Ermittler von einem Schäferhund aus. Wichmann hatte einen Schäferhund mit Namen „Rex“.

Die Bilder (Rechte Carlo Eggeling) zeigen Kurt-Werner Wichmann mit einem seiner Autos. Der ehemalige Polizist Klaus Harjes zeigt auf dem Friedhof in Bremerhaven, wo Spuren entdeckt wurden. Bei einer Besprechung spricht Harjes mit den Kindern Bärbel Barnowos, Frank Barnkow und Susanne König. Am Klinikum in Bremerhaven, nahe des Eingans, der zu den Parkplätzen führt, wurde die schwerst verletzte Krankenschwester Bärbel Barnkow gefunden.

© Fotos: Carlo Eggeling


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