Zwischen wir machen alles richtig und Desaster
von Carlo Eggeling am 19.07.2025Reichlich fünf Millionen Euro mehr bei den Pensionsleistungen — fallen nicht ins Gewicht, nur ein Posten in der Buchhaltung, der aktuell nicht zum Tragen komme; sechs Millionen Euro Ausfall bei der Gewerbesteuer — ein Auf und Ab, komme immer wieder vor; und eine Haushaltssperre von 6,5 Millionen Euro, welche die Oberbürgermeisterin den Ratsmitgliedern mit sommerlichen Feriengrüßen vor zwei Wochen per Mail zusandte. Der Haushalt umfasst schließlich rund 420 Millionen Euro. War was?
In einer von der SPD beantragten Sondersitzung des Finanzausschusses wirkten Claudia Kalisch und ihr Kämmerer Matthias Rink am Freitagnachmittag recht gelassen. Alles kein Beinbruch. Die Stadt sei solide aufgestellt, erhalte Kassenkredite in diesem Jahr von bis zu 220 und im kommenden Jahr bis zu 296 Millionen Euro. Die Lage sei "nicht rosig", aber normal, es gehe vielen Kommunen schlecht, weil Bund und Land zwar immer mehr Aufgaben, doch nicht mehr Geld verteilten.
Im Huldigungssaal reichten die Stühle nicht, proppevoll. Bürger interessiert das riesige Loch im Stadtsäckel offensichtlich. Der Ausschuss konnte nichts beschließen, lediglich zur Kenntnis nehmen. Aber sich ärgern und der Verwaltung eben das zu zeigen, das ging. SPD und Linke bemängelten Transparenz und ein Konzept, nach dem die Chefetage sparen möchte. Die Grünen sprangen ihrer Oberbürgermeisterin erwartungsgemäß bei und konnten nichts Ungewöhnliches entdecken, CDU und FDP-Vertreter Frank Soldan kritisierten ein bisschen und forderten, Leistungen zu überprüfen und zu sparen. Sie hatten gemeinsam und anders als SPD und die Linke dem Etat in einer "Verantwortungsgemeinschaft" zugestimmt. Die AfD findet Schulden generell daneben.
Eigenwillig wirkt die Informationspolitik des Rathauses. Sonst wird die kleinste Kleinigkeit herausgestellt, als Erfolg natürlich. In diesem Fall hielt man es nicht für nötig, eine Pressemitteilung dazu zu verschicken, dass das Innenministerium den Haushalt mit Einschränkungen genehmigt hatte. Das war Anfang April. Erst auf Anfrage von LA bestätigte die Pressestelle gerade, ja, die Genehmigung liege vor.
Verzögerungen? Man habe alles richtig gemacht, hieß es im Ausschuss. Die Fraktionsvorsitzenden seien Anfang April in Kenntnis gesetzt worden, zwei Tage später stand's im Amtsblatt -- wer liest das? --, auch in der Poststelle des Rathauses habe das Schreiben aus Hannover ausgelegen. Wer weiß so etwas? Schließlich sei die Neuigkeit Anfang Mai im Finanzausschuss verkündet worden, da saß wohl ein Journalist. En Detail konnte man jedenfalls nichts dazu lesen. Trotzdem sei das ausreichend befand die Verwaltungsspitze.
Die war bis auf Stadtbaurätin Heike Gundermann komplett vertreten, für sie saß eine Vertretung am Tisch. Wirkte nach: Wir halten zusammen.
Die Oberbürgermeisterin zog alle in die Verantwortung, man könne mal kritisch sein, aber möge die Stadt nicht schlecht reden, um die Bonität bei Banken nicht zu schmälern. Es sei nicht nicht rosig, aber es gebe keine akute Finanznot: „Die freiwilligen Leistungen der Hansestadt beispielsweise in den Bereichen Kultur, Sport und Soziales bleiben unangetastet.“
Fragen, wo denn nun gespart werde, blieben letztlich offen. Offene Stellen nicht besetzen, Zeitverträge nicht verlängern. Der Kämmerer, der seit Anfang des Jahres weiß, dass er mit dem im Dezember beschlossenen Haushalt in 2025 insgesamt 6,5 Millionen Euro einsparen muss und im nächsten 9,2 Millionen, hat zur Jahreshälfte erst 1,8 Millionen zusammen. Was ist mit dem Rest? SPD-Frau Andrea Schröder-Ehlers bohrte mehrfach nach. Marianne Esders von der Linken vermisste ein soziales Konzept angesichts der Probleme.
Interessant ist die Haltung der FDP. Während Frank Soldan im Ausschuss moderat kritisierte, schob sein Fraktionskollege Cornelius Grimm, der im Huldigungssaal nicht reden durfte, eine Pressemitteilung hinterher. Attacke: „Frau Kalisch wird am Ende ihrer Wahlperiode im Herbst 2026 einen Schuldenstand von mehr als einer Viertelmilliarde Euro hinterlassen – ohne wirtschaftliche Perspektive. Das ist kein strukturelles Ungleichgewicht mehr, das ist eine Schieflage mit Ansage.“
Die von der Verwaltung vorgestellten Maßnahmen griffen aus Sicht der FDP zu kurz: "Es gibt keine belastbare Priorisierung, keine bezifferte Einsparzielmarke, keine transparente Bewertung freiwilliger Leistungen. Vielmehr ist die Verwaltung verpflichtet, die vom Rat beschlossenen Maßnahmen umzusetzen. Nur der Rat kann das ändern. Alle Fachbereiche wurden pauschal aufgefordert, bis zum 31. Juli mögliche Einsparpotenziale zu melden, die dann vom Verwaltungsvorstand bewertet werden sollen. Die Entscheidung, ob diese überhaupt umsetzbar sind, soll erst im Herbst fallen."
Grimm schießt scharf: „Die Verwaltung plant weiter im Nebel. Wir brauchen jetzt Klarheit, welche Aufgaben künftig mit welchem Personaleinsatz und welchen Mitteln erbracht werden sollen. Wenn freiwillige Leistungen pauschal gestoppt werden, ohne deren Wirkung zu bewerten, ist das politisch mutlos und finanziell wirkungslos.“
Die mediale Berichterstattung sei unfair, monierte Kämmerer Rink zwei-, dreimal am Freitagnachmittag. Im Ausschuss widersprach -- wie so oft -- niemand. Ohne Berichterstattung hätte die Politik mutmaßlich kaum reagiert und den Fahrplan der Verwaltung akzeptiert. Nun die Sondersitzung. Rink und seiner Chefin dürften die heutigen Berichte kaum gefallen. Auch LZ-Kollege Thomas Mitzlaff schlägt einen harschen Ton an.
Dass SPD und Linke einen wunden Punkt trafen, nämlich die aus ihrer Sicht mangelnde Kompetenz der Verwaltungsspitze, wurde es nahezu beleidigend. Der Grüne Fraktionschef Ulrich Blanck verbat sich die gemeinhin üblichen Zwischenrufe, SPD-Frau Schröder-Ehlers möge schweigen. Kollege Mitzlaff nennt Blancks Auftritt "arrogant".
Noch einmal zur von den Grünen ausgerufenen "Verantwortungsgemeinschaft". Allein das Wort schließt die aus, die dem Etat im Dezember nicht zugestimmt haben. Da kam ein Vorschlag aus der Verantwortungsgemeinschaft gut an, die Fraktionsvorsitzenden sollten sich mal zusammensetzen, um das Wohl der Stadt gemeinsam in den Blick zu nehmen. Selbstverständlich ohne Presse.
Was so kuschelig klingt, befanden einige im Publikum wie der Vorsitzende der Einzelhandelsgemeinschaft LCM, Heiko Meyer, als Hinterzimmer-Geklüngel. Mir fällt Alt-Bundeskanzler Willy Brandt ein, der hatte 1970 zur "Lage der Nation" gesagt: „Der Respekt vor dem mündigen Bürger verlangt, dass man ihm Schwierigkeiten nicht vorenthält.“ Respekt hatten Oberbürgermeisterin, Kämmerer und Politiker mehrfach betont.
Am Ende blieben OBin und Kämmerer gelassen. Ende August wollen sie mehr verraten. Es ist ja Sommer. Diese Aufregung. Es ist wie in der Mail der Verwaltungschefin, selbst bei Problemen heiter bleiben und schöne Ferien. Sie hat ja recht: Ohne Zuversicht geht es nicht. Die Sitzung hat einigen ein Lachen geschenkt. Ein ungläubiges. Carlo Eggeling
Die Bilder zeigen Publikum im Huldigungssaal sowie Claudia Kalisch, Kämmerer Matthias Rink und den Ausschussvorsitzenden Alexander Schwake von der CDU.
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